Carl Nielsen

Carl Nielsen - Carl Nielsen by Georg Lindstrøm - GEMEINFREI

Das Ö1 Konzert

Kompliziert einfacher Nielsen

Dänisches Radio-Sinfonieorchester, Dirigent: Fabio Luisi. Carl Nielsen: "Aladdin", Suite für Orchester op. 34 | Carl Nielsen: Symphonie Nr. 6 "Sinfonia semplice"
(aufgenommen am 29. April im Konzerthaus Kopenhagen)

Nielsens Aladdin

Die Musik zu "Aladdin" war ein Auftragswerk des Königlichen Theaters in Kopenhagen anlässlich einer Neuinszenierung des gleichnamigen Theaterstücks von Adam Oehlenschläger nach Motiven aus "Tausendundeine Nacht". Entstanden ist die Musik im Wesentlichen 1918. Nielsen dirigierte oft Auszüge sowohl in Dänemark als auch im Ausland, so im Juni 1923 in der Londoner Queen´s Hall und Ende 1929 anlässlich von 12 Aufführungen im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Nach Nielsens Ableben im Alter von 66 Jahren im Jahre 1931 wurden sieben Auszüge als Aladdin-Suite veröffentlicht. Für eine Aufführung hatte Nielsen eine Erläuterung verfasst: Angestrebt habe er einen "fremdartigen märchenhaften Tonfall." Den exotischen, oder pseudo-exotischen, Klang erreichte Nielsen durch Instrumentation (Xylophon, Tambourin, große und kleine Trommel, Kastagnetten, Triangel, Gong und Pauken) und Motivwiederholungen, aber auch mit der Beschränkung auf bestimmte Intervalle - so wird die Quinte kaum überschritten.


Was ist an Nielsens 6. Symphonie "semplice"?

Nielsen hatte in einem Interview anlässlich seines 60. Geburtstags resigniert geklungen. Ein Journalist wollte in der Symphonie (mit dem Titel "Sinfonia semplice") Verbitterung gehört haben. Darauf Nielsen: Diese Musik "hat nichts, aber auch schon gar nichts, mit meinem Gemütszustand zu tun. Meine Erfahrungen haben niemals direkten Einfluss auf meine Musik. … Es ist selbstverständlich, dass wir uns nach etwas sehnen, was wir nicht haben." Drei der besten Kenner der Musik Nielsens (der Komponist Robert Simpson, der Herausgeber der 13-bändigen Nielsen-Briefausgabe John Fellow und der Komponist bzw. Musikwissenschaftler David Fanning) sind sich einig: Nielsen versuche Einfaches zu schaffen und komponiere zugleich den Zweifel an diesem Unterfangen. Die einzelnen Teile sind relativ einfach, kompliziert sei der Zusammenhang, die Dramaturgie der vier Sätze.


Zerfallsprozess der Unschuld

In der 6. Symphonie werde das, was Simpson als "emergent tonality" bezeichnet hat, umgekehrt. Der Versuch, wie in den vorangegangenen Symphonien, eine Tonart zu festigen, erweise sich "als unmöglich, stattdessen konzentriert sich das Bestreben nun auf das völlige Vermeiden einer Tonart, die dennoch wie eine unumgängliche Erkenntnis durchbricht." Es sei, so Fellow, "unmöglich geworden, alle Kräfte zu sammeln, aber die Utopie spielt immer noch eine Rolle als Schatten."
Für Jonathan D. Kramer ist die Sinfonia semplice "das tiefsinnigste postmoderne Werk, das vor dem postmodernen Zeitalter komponiert wurde." Die Essenz "dieses fundamental düsteren Werkes ist der Zerfallsprozess der Unschuld, der zum Verlust der Einfachheit" führe. Das Einfache werde suspekt, die Unschuld kompromittiert.


Weder Programm- noch absolute Musik

Am Tag der Uraufführung (11. Dezember 1925) meinte Nielsen im Interview, es sei "Unsinn, wenn die Leute von tiefsinniger Musik sprechen, nur weil sie feierlich klingt. Die lustigen Dinge können tiefsinnig sein, wenn sie richtig ausgedrückt sind." Es sprach sich einerseits gegen "Programmmusik" aus, andererseits auch gegen "sogenannte absolute Musik", die ohne Bezug zur außermusikalischen Welt auskommen wollte. Musik sei mehr als tönend bewegte Form. Nielsens letzte Symphonie, so Fellow, "handelt von nichts Geringerem als dem Zusammenbruch des Fortschritts- und Kulturoptimismus der aufstrebenden Klassen" - ein Zusammenbruch, "der sich im Inneren eines jener Menschen" manifestiere, "die mit diesem Optimismus geboren und aufgewachsen sind."


Ende mit symbolischem Stinkefinger

Zugleich ist dieses Werk vielleicht in doppeltem Sinne autobiographisch. Nielsen hatte vor Beginn der Arbeit an der 6. mit seiner 5. Symphonie einen großen Erfolg gefeiert, dann eine Reihe von Herzanfällen erlitten. Das Finale der 6. Symphonie sollte ein "Variationswerk" werden, "ein kosmisches Chaos, dessen Atome … sich läutern und zusammentun, um einen Globus zu formen." Variationen ja, Chaos auch (in der Mitte des Satzes), doch nun sind die Hindernisse, im Unterschied zur 5. Symphonie, unüberwindbar. Die bizarre Variation mit Tuba und Schlagzeug? Sie repräsentiere, so Nielsen, "den an die Tür klopfenden Tod." Die Fanfaren der Coda? Sie können "nur als todesverachtende Geste verstanden werden", so Fanning im Chandos-CD-Beiheft zu "John Storgårds conducts Nielsen, Complete Symphonies. BBC Philharmonic, 2015". Nach der letzten der neun Variationen versuche die Coda sich gegen den allgemeinen und persönlichen Verfall mit Heroismus zu stemmen. Die beiden Fagotte, die am Ende "mit aller Kraft ihren tiefsten Ton herauskotzen"? Der "größte Lebensbejaher der symphonischen Tradition des zwanzigsten Jahrhunderts" zeige "dem Tod den symbolischen Stinkefinger."

Service

Robert Simpson: Carl Nielsen, Symphonist. 2nd ed., London 1979.
Jonathan D. Kramer: Unity and Disunity in Nielsen´s Sixth Symphony. In: The Nielsen Companion, London/Boston 1994.
John Fellow Larsen: Carl Nielsen, Wien und die europäische Wende. Von psychischer Wende bis Wertezerfall. In: ÖMZ. Nielsen Special. Wien 1996, 11-62.
https://www.bloomsburycollections.com/book/postmodern-music-postmodern-listening/ch13-unity-and-disunity-in-nielsen-s-sinfonia-semplice

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Carl Nielsen/1865 - 1931
Titel: Aladdin op.34 - Suite für Orchester
* Orientalischer Festmarsch
* Aladdins Traum und Tanz der Morgennebel
* Hindu-Tanz
* Chinesischer Tanz
* Der Große Plazui in Isphahan
* Tanz der Gefangenen
* Neger-Tanz
Orchester: Dänisches Radio-Sinfonieorchester (Danish National Symphony Orchestra)
Leitung: Fabio Luisi
Länge: 25:17 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Carl Nielsen / 1865-1931
Titel: Symphonie Nr.6 FS 116 "Sinfonia semplice"
* Tempo giusto - 1.Satz
Orchester: Dänisches Radio-Sinfonieorchester (Danish National Symphony Orchestra)
Leitung: Fabio Luisi
Länge: 14:20 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Carl Nielsen /1865-1931
Titel: Symphonie Nr.6 FS 116 "Sinfonia semplice"
* Humoreske - 2.Satz
* Proposta seria - 3.Satz
Orchester: Dänisches Radio-Sinfonieorchester (Danish National Symphony Orchestra)
Leitung: Fabio Luisi
Länge: 09:57 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Carl Nielsen /1865-1931
Titel: Symphonie Nr.6 FS 116 "Sinfonia semplice"
* 6. Tema med variationer - 4.Satz
Orchester: Dänisches Radio-Sinfonieorchester (Danish National Symphony Orchestra)
Leitung: Fabio Luisi
Länge: 11:00 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Josef Matthias Hauer/1883 - 1959
Titel: Suite für Orchester Nr.7 op.48 (CD01/48767/3-7_H, Ausschnitt)
* Lento molto tranquillo - 2.Satz (00:03:14)
* Länndler - 5- Satz (00:04:05)
Orchester: ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Leitung: Gottfried Rabl
Länge: 07:19 min
Label: cpo7771542

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