Sehen und wahrnehmen

12. Juli 2023, 06:57

"Wahrnehmung" ist ein Begriff, der immer mehr aus unserem alltäglichen Sprachgebrauch verschwindet. In meiner Arbeit merke ich dies auf erschreckende Art und Weise, dass ich Kindern und Jugendlichen dieses Wort erklären muss - warum wohl? Weil durch eine - vor allem visuelle - enorme Reizüberflutung mehr und mehr die Fähigkeit verlieren, Ereignisse, die von unseren Sinnen aufgenommen werden, auch zu verarbeiten.

Ein Beispiel: Ich sehe auf meinem Spaziergang einen Menschen, der gestürzt ist. Ziemlich sicher würde jeder Mensch, der dies erlebt, dem am Boden liegenden zu Hilfe eilen. Aber um den Prozess des Helfens in Gang zu setzen, dazu muss der Gestrauchelte wahrgenommen werden. Es würde nicht reichen, ihn nur zu sehen. Denn sehen bedeutet nichts anderes als eine reine Informationsaufnahme über unsere Augen. Das Bild wird über den Sehnerv in unser Gehirn weitergeleitet, wo es als Bild abgespeichert wird. Punkt.

Denn sehen ist genauso wie hören ein passiver Zustand, da passiert noch gar nichts. Nur wenn ich wahrnehme, werde ich aktiv, greife ich ein: Wird ein Einklang hergestellt zwischen dem Bild meiner Sinne und meinem Herzen, meinem Gefühl, alles, was wir als "soziale Kompetenz" bezeichnen. Und ich reiche die Hand. Ich erlebe ein Glücksgefühl. Ich bin überzeugt: Um unseren Alltag anzureichern, also ihn "reich zu machen", müssen wir unsere Wahrnehmung nur intensivieren und Augenblicke bewusster wahrnehmen.

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• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler