Alina Dreyer

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

Aberglaube zwischen den Jahren

von Aline Dreyer, Schauspielerin und Dolmetschstudentin

Zwischen den Jahren findet sich Aberglauben in den alltäglichsten Angelegenheiten: Über Silvester soll man keine Wäsche zum Trocknen aufhängen, es könnten sich böse Geister darin verfangen. Während der Raunächte soll man weder Haare schneiden, noch morgens pfeifen. Stattdessen sollte geräuchert werden. Weihrauch, Salbei, Zedernholz, Wacholder. Manche trocknen sich die Kräuter selbst, andere verdrehen die Augen und hängen ungerührt nasse Leintücher auf.

"Glaubst du da wirklich dran?" Ich zum Beispiel weiß nicht immer, was ich darauf sagen soll. Oft geht Aberglaube einfach in Gewohnheit über: Ich habe von meiner Oma übernommen, dass man beim Anstoßen nicht über die Arme von anderen kreuzen darf, und dass man Messer nicht verschenken darf - das zerschneidet nämlich die Freundschaft. Und auf Holz klopft man, wenn man etwas nicht "verschreien" will. Mein atheistischer Vater meint, Aberglaube sei eine Vorstufe von spirituellem Fanatismus, und somit nicht viel weniger als die Wurzel allen Übels. Oder so ähnlich. Irgendwo dazwischen bewegt sich die Wahrheit; wird hin- und hergeschoben wie das Laufgewicht auf einer altmodischen Säulenwaage.

Abergläubische "Regeln" haben ihre Ursprünge in dem Versuch, das Unkontrollierbare zu kontrollieren. Besonders oft betreffen sie Übergangszeiten: Jahreszeitenwechsel, Erwachsenwerden, Geburt oder Sterben. Eine Übergangszeit bedeutet Unsicherheit, bedeutet, dass der soziale Status eines Menschen eventuell nicht mehr klar definiert ist und so ins Wackeln gerät. Der soziale Status aber ist in einer Gemeinschaft das Wichtigste, was der Mensch besitzt. Darum tut er alles, um sich vor seinem Verlust zu schützen.

Daraus könnte man Folgendes schließen: Das Praktizieren und Bewahren von Bräuchen und auch Aberglauben ist ein subtiles Bekenntnis dazu, dass Menschen einander brauchen. Dazu, dass wir uns nach menschlicher Nähe und Unterstützung sehnen; nach einer Gemeinschaft, die füreinander da ist, unabhängig davon, wie diese Gemeinschaft aussieht. Diese Folgerung ist vielleicht ein bisschen naiv. "Glaubst du da wirklich dran?" Ja, schon. Daran glaube ich schon.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Loreena McKennitt
Album: THE VISIT
Titel: Between the shadows/instr.
Solist/Solistin: Loreena McKennitt
Länge: 04:03 min
Label: WEA 9031751512

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