Zwischenruf
Wie soll ich handeln? Der kategorische Imperativ
von Reinhold Esterbauer, Professor für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Graz
4. August 2024, 06:55
Immanuel Kant sagt, man braucht fürs Handeln eigentlich immer eine Grundlage. Oder man könnte es umgekehrt auch formulieren, man braucht eine Maxime, wie er das nennt. Und, was noch hilfreicher ist, den Imperativ, wie man denn handeln soll. Da meint er jetzt, es gibt zwei verschiedene Arten von solchen Imperativen. Der eine Imperativ, das wären hypothetische Imperative. Er sagt, solche Imperative gehen immer los mit "Wenn".
Wenn du das oder das willst, dann musst du das oder das machen. Und wenn er jetzt sagt, ich bräuchte aber oder ich hätte gerne einen solchen Imperativ, der immer und überall gilt und für alle Menschen gilt, dann, so sagt Kant, muss ich von diesen hypothetischen Imperativen wegkommen, zu einem, der immer und überall gilt. Das kann dann natürlich nur "der Eine" sein. Und den nennt er kategorischen Imperativ, weil der kategorisch gilt. Immer und überall, sozusagen.
Soll ich das tun oder soll ich das nicht tun? Oder noch verstärkter: Was soll ich denn in dieser Situation tun? Da sagt Kant, da gibt es so etwas wie ein moralisches Grundgesetz in mir, und wenn man das ausformuliert, dann gelangt man zum sogenannten kategorischen Imperativ.
Der kategorische Imperativ meint, dass jemand, der eine Handlung setzen möchte, sich nicht mehr fragt: Ist es jetzt für mich gut oder ist es für eine Gruppe gut von Menschen oder für irgendetwas gut? Sondern ich muss fragen, ob die Grundlage, der Ausgangspunkt meiner Handlung, so angesetzt werden kann, dass er als Handlungsgrundlage, er nennt es Maxime, für alle Menschen gelten könnte. Erst wenn wirklich alle Menschen genau so handeln könnten, wie ich jetzt handeln will, dann würde er sagen, dann kannst du davon ausgehen, dass das eine gute Handlung ist.
Denken Sie sich, Sie würden in Versuchung kommen, bei Ihrer heurigen Steuererklärung zu sagen: "Na ja, so ganz alles muss ich ja doch nicht angeben." Dann wäre das vielleicht gut für Sie. Und wenn Sie jetzt diesen Leitsatz hätten für sich: Na ja, ab und zu eine Steuerhinterziehung zu machen, wäre nicht so schlimm, dann müssten Sie nach Kant fragen: Aber was ist da jetzt, wenn ich das für alle Menschen als Grundlage annehmen würde? Dann würden natürlich sehr, sehr viele Steuern hinterzogen werden, weil das für alle gut wäre, irgendwie.
Aber im zweiten Blick darauf müsste man sagen: Ja, vielleicht gibt es dann keine Straßen mehr. Vielleicht sind die Schulen nicht mehr finanzierbar. Also müsste ich davon Abstand nehmen und müsste jetzt davon sagen: "Na ja, eigentlich ist diese Grundmaxime, dieser Leitsatz für mein Handeln, eigentlich nicht tragbar." Also, ich soll doch nicht Steuern hinterziehen. Wenn ich anfange, Ausnahmen zu machen, dort und da, dann würde er wahrscheinlich sagen: Da wird es dann schwierig, so etwas wie ein allgemeines, verbindliches Gesetz aufrechtzuerhalten. Das ist, glaube ich, sein Bedenken, dass er dagegen äußern würde.
Also, Kant ist in mehrfacher Hinsicht revolutionär. Der wollte schon auch das Denken umkrempeln und besonders auf neue, sichere Beine stellen. Dass man nicht mehr nur vage herumtappt, sondern dass man wirklich auf sicherem Fundament nachdenken kann und auch handeln kann.
Sendereihe
Gestaltung
Übersicht
Playlist
Komponist/Komponistin: Keith Jarrett
Album: PARIS / LONDON: TESTAMENT
Titel: Part III/instr./live
Gesamttitel: LONDON
three
Solist/Solistin: Keith Jarrett /Piano
Länge: 06:50 min
Label: ECM Rec. 2130-32 / 2709583 (3 CD)