Eine Frau sitzt zusammengerollt auf ihrem Bett

WESTEND61/VYACHESLAV CHISTYAKOV

Punkt eins

Welttag der psychischen Gesundheit: Was heißt "normal"?

Stigma: Psychisch krank. Wie wir als Gesellschaft über psychische Gesundheit und Krankheit sprechen und Betroffene nicht stigmatisieren. Gäste: Hannah Frisch, Erfahrungsexpertin, Change for the Youth & Dr. Georg Psota, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien. Moderation: Barbara Zeithammer. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Ist das noch "normal" lange Trauer, ein "normal" wildes Kind, eine "normale" Erschöpfung, ein "normaler" Alkoholkonsum, ein "normal" eigenbrötlerischer Charakter?

Psychische Erkrankungen haben meist "die Anderen". Nur selten wird offen darüber gesprochen, denn "psychisch krank" haftet ein Stigma an. Betroffene und ihre Angehörigen haben mit Stereotypen, Vorurteilen und Diskriminierung zu kämpfen. Die Folgen sind so dramatisch, dass die Stigmatisierung als "die zweite Krankheit" bezeichnet wird.

"Es ist ein Mythos, dass psychische Erkrankungen immer nur die anderen haben", sagt Georg Psota, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie. "Es gibt keine Familie, in der nicht jemand psychisch krank ist oder war". Zwischen 20 und 25 Prozent der Bevölkerung leiden an einer psychischen Krankheit, sie zu entwickeln ist wahrscheinlicher, als an Diabetes oder Herzleiden zu erkranken.

Doch psychische Krankheiten sind meist "unsichtbar", auch lassen sie sich nicht so einfach diagnostizieren wie ein Knochenbruch, Nierensteine oder eine Grippe. Die Grenzen zwischen "normal" und krank sind fließend und was als gesund und was als krank gilt, unterliegt einem gesellschaftlichen und kulturellen Wandel.

Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien bezeichnet die Unterscheidung in psychische und physische Krankheiten als "virtuell" und engagiert sich dafür, dass Vorurteile gegenüber psychischen Erkrankungen abgebaut werden. 2020 startete er beispielsweise eine Kampagne zur Entstigmatisierung in Wien: darüberredenwir - um die größten Hindernisse für Betroffene und Angehörige zu beseitigen: sich möglichst rasch Hilfe holen zu können. Und vor allem diese Hilfe auch zu erhalten.

Die meisten psychischen Erkrankungen wären gut behandelbar, doch es fehlt an Therapiemöglichkeiten und -Plätzen, die Wartelisten sind lang, die Situation vor allem für betroffene Kinder und Jugendliche unverändert dramatisch. "Wir sind die Jugend von Österreich und uns wird nicht geholfen", appelliert die Jugendinitiative Change for the Youth seit ihrer Gründung 2023 für eine Verbesserung im mentalen Gesundheitssystem. Hannah Frisch engagiert sich bei der Initiative und als Erfahrungsexpertin - sie hat selbst eine psychische Erkrankung erlebt und durchlebt - im Kampf für Hilfe und gegen Stigmatisierung.

Die Stigmatisierung zieht sich quer durch alle Lebensbereiche - vom privaten Umfeld über Schule, Arbeit, bis ins Gesundheitssystem, sie trifft Frauen anders als Männer, Depressionen und Schizophrenie anders als Burnout und Suchterkrankungen. Die meisten Menschen wissen wenig über psychische Erkrankungen und beziehen ihre Informationen häufig aus den Medien, wo nicht immer angemessen, sondern mitunter reißerisch berichtet wird, was Vorurteile verstärkt. Auf den "sozialen" Plattformen im Internet teilen indessen Prominente immer öfter ihre Depressionen, Angststörungen und Suchterfahrungen und unter dem Stichwort "mental health" werden (pauschale) Diagnosen und Erfahrungen ebenso rasch und häufig verbreitet, wie mitunter fragwürdige Therapieempfehlungen.

Was ist also "normal", was ist krank und welche Rolle spielen dabei Gesellschaft und Kultur, Medien und soziale Medien? Wie wird eine Diagnose gestellt, was ist vom mental-health-Trend zu halten und was hilft gegen das Stigma der psychischen Erkrankung, welche Maßnahmen braucht es, welchen Einfluss hat die Gesellschaft, welchen "unsere Zeit"? Wie sollten wir als Gesellschaft über das Kontinuum der psychischen Gesundheit und Krankheit sprechen?

Hannah Frisch und Georg Psota sind am Welttag der psychischen Gesundheit Gäste bei Barbara Zeithammer und wie immer sind unsere Hörerinnen und Hörer sehr herzlich eingeladen, sich an der Diskussion mit Fragen, Erfahrungsberichten und Gedanken zu beteiligen: kostenfrei aus ganz Österreich live während der Sendung unter 0800 22 69 79 oder Sie schreiben uns ein Mail an punkteins(at)orf.at

Service

Krisentelefone und Notrufnummern:
24-Stunden-Notfall-Hotlines, österreichweit, kostenfrei:
Telefonseelsorge: 142
Rat auf Draht: 147

PSD Wien: Rat und Hilfe bei psychischer Erkrankung
Beratungsstellen
Verein Freiräume
HPE - Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter
Change for the Youth

Georg Psota: Psyche und Stigma. Psychische Erkrankungen und Vorurteile. Picus Verlag, 2021. 48 Seiten

Sendereihe

Gestaltung

  • Barbara Zeithammer

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Fanny Hensel, geb. Mendelssohn
Album: FELIX & FANNY MENDELSSOHN: STREICHQUARTETTE
* 7. Romanze - 3.Satz (00:06:40)
Titel: Quartett für 2 Violinen, Viola und Violoncello in Es-Dur
Quartett für Streicher, Streichquartett
Ausführende: Quatuor Ebène
Ausführender/Ausführende: Pierre Colombet /Violine 1
Ausführender/Ausführende: Gabriel Le Magadure /Violine 2
Ausführender/Ausführende: Mathieu Herzog /Viola
Ausführender/Ausführende: Raphaël Merlin /Violoncello
Länge: 06:44 min
Label: Virgin Classics 4645462

Untertitel: Felix Mendelssohn
Album: FELIX & FANNY MENDELSSOHN: STREICHQUARTETTE
* I. Adagio ma non troppo
Titel: Quartett für 2 Violinen, Viola und Violoncello in Es-Dur
Quartett für Streicher, Streichquartett
Ausführende: Isata Kanneh-Mason
Länge: 04:31 min
Label: Decca

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