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Punkt eins

Staatsbürgerschaft und Bürokratie: Typisch österreichisch?

Vom schwierigen Unterfangen in Österreich eingebürgert zu werden. Gäste: Olga Kosanovic, Regisseurin, Drehbuchautorin. Lehrende an der Graphischen und an der Hertha Firnberg Schule in Wien & Univ. Prof. Dr. Rainer Bauböck, Politikwissenschaftler, Themenplattform Migration und Diversität an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, European University Institute, Department of Political and Social Sciences. Moderation: Andreas Obrecht. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Einbürgerung wird von vielen Menschen, die die österreichische Staatbürgerschaft erlangen wollen, als bürokratische Zumutung erlebt. Neben unterschiedlichsten Voraussetzungen - wie Aufenthalts- und Meldedauer, Sprachkenntnis, Länderkunde, Wissenstests etc. - spielt die Einkommenssituation eine wichtige Rolle. Die Latte liegt hoch: 30% der österreichischen Arbeiter und 60% der Arbeiterinnen könnten nach diesen Bestimmungen gar nicht eingebürgert werden, so wie auch viele Menschen, die hier geboren wurden und akzentfrei Deutsch sprechen. Nur in Saudi-Arabien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten sind die Einwanderungsbestimmungen restriktiver - mit bedenklichen demokratiepolitischen Konsequenzen. 20 % der dauerhaft in Österreich lebenden Menschen sind von der politischen Teilhabe ausgeschlossen, in Wien sind es sogar über ein Drittel, womit die städtische Wählerschaft insgesamt unterrepräsentiert ist.

Völlig unerwartet hat Olga Kosanovic, die 1995 in Wien geboren wurde und die in Korneuburg aufgewachsen ist, die Erfahrung gemacht, dass ihr Zuhause in der bürokratischen Logik offenbar nicht ihr Zuhause ist. Im ersten Anlauf wurde ihr Ansinnen, die von der Mutter geerbte serbische Staatbürgerschaft durch eine österreichische zu ersetzen, abgelehnt. Als sie damit an die Öffentlichkeit ging, lautete einer der vielen Kommentare: "Wenn eine Katze in der Hofreitschule Junge wirft, sind das noch lange keine Lipizzaner." Seit einer Woche läuft der erste Langfilm von Olga Kosanovic unter dem Titel "Noch lange keine Lipizzaner" in den heimischen Kinos.

Olga Kosanovi?, die an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg studiert hat, zeichnet in unterhaltsamer und humorvoller Weise die bürokratische Odyssee nach, die Antragsteller auf dem Weg zur Staatsbürgerschaft erwartet. Der Film verbindet fiktionale, dokumentarische und persönliche Elemente, lässt Wissenschaftlerinnen, Diplomaten und Schriftsteller ebenso zu Wort kommen wie die sogenannte "andere Meinung von der Straße". Es geht um das "Wir" und um die "Anderen", um die Abgrenzung nach "Außen" und das Selbstbewusstsein im "Inneren" - also vor allem auch um die heikle Frage, wer "wir" Österreicherinnen und Österreicher sind, durch wen und wodurch unsere Identität definiert ist. Klischees und Hintergründiges sind darin zu einem dichten Netz unterschiedlichster Projektionen und Erwartungen gewoben, wenn es etwa heißt, dass "die Österreicher ein Inselvolk ohne Insel sind", oder dass es uns am wichtigsten ist, "keinesfalls so wie die Deutschen zu sein."

Als der Film "Noch lange keine Lipizzaner" abgedreht wurde hatte Olga Kosanovic im zweiten Anlauf noch immer nicht die Staatsbürgerschaft erworben. Olga Kosanovic und Univ.-Prof. Dr. Rainer Bauböck, der sich als Politikwissenschaftler mit den Einwanderungsgesetzen und -bestimmungen, sowie den sozioökonomischen und demokratiepolitischen Konsequenzen derselben intensiv auseinandersetzt, sind Gäste bei Andreas Obrecht.

Wer sind "Wir" und wer sind die "Anderen"? Gibt es das spezifisch "Österreichische", über das sich Identität definieren lässt? Welche Bedeutung haben "Nation" und "Volk" vor dem Hintergrund einer sich rasch wandelnden Gesellschaft? Wie wichtig ist politische Teilhabe für Integration und das Funktionieren der Gesellschaft? Wie immer freut sich die Redaktion über Ihre Teilnahme an dem Gespräch unter 0800 22 69 79 während der Sendung oder unter punkteins(at)orf.at

Service

Film:
"Noch lange keine Lipizzaner" - von Olga Kosanovi? (seit 12.09. im Kino)

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