Radiokolleg - Überempfindlich, aufbrausend, kaltblütig
Persönlichkeitsstörungen und ihre Symptome (1). Gestaltung: Christa Nebenführ
12. Jänner 2015, 09:30
Knapp 1.500 Buchtitel findet man beim Schlagwort "Persönlichkeitsstörung" im Internet. Die Betroffenen sind Zentralfiguren von Ratgebern, Fachbüchern und Romanen - man denke nur an Gustave Flauberts Arztgattin Madame Bovary, deren narzisstische Gier nach gesellschaftlichem Glanz die Familie ruiniert - und ein schwieriger Kollege oder Partner wird hinter seinem Rücken schon mal als Psychopath, Narzisst oder Borderliner abgestempelt.
Was verbindet diese Krankheitsbilder? Im Klassifikationssystem der WHO werden sie als "tief verwurzelte, anhaltende Verhaltensmuster, die sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen zeigen und gegenüber der Mehrheit der betreffenden Bevölkerung deutliche Abweichungen im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in den Beziehungen zu anderen verkörpern" definiert. Gemeinsam ist den Persönlichkeitsstörungen, dass ihre Träger nicht als offenkundig irrsinnig, sondern eher als befremdlich und schwierig wahrgenommen werden. So ist beispielsweise eine Paranoide Schizophrenie von Wahrnehmungsstörungen und akustischen Halluzinationen begleitet, der Patient flieht vor Außerirdischen oder ist hartnäckig von Vergiftungsplänen enger Vertrauter überzeugt. Eine paranoide Persönlichkeitsstörung liegt dagegen sehr nahe an realistischen Bedrohungsszenarien und kann den Betroffenen unter Umständen zum Mobbing Experten werden lassen. Bis 1980 war die Verwendung der Begriffe Psychopathie und Persönlichkeitsstörung gleichbedeutend, erst dann verschwand die Psychopathie wegen ihres abwertenden Beiklangs aus den Diagnosehandbüchern.
Christa Nebenführ hat die Symptomatik der markantesten Persönlichkeitsstörungen nachgefragt und berichtet über die ersten Vermutungen biophysischer Zusammenhänge. So fördern etwa die Gehirnscans von Borderline - und von Dissozialen - Persönlichkeiten eine völlig entgegengesetzte Abweichung von der Aktivität unauffälliger Vergleichspersonen zutage: Wo die Amygdala bei Borderline-Patienten geradezu übersprudelt, herrscht bei Dissozialen beängstigende Ruhe. Das brachte den amerikanischen Psychologen Kevin Dutton zum Versuch sich mittels transkranieller Magnetstimulation vorübergehend zum Psychopathen umstylen zu lassen. In dieser Serie wird nicht nur beschrieben, wie das funktionierte, sondern auch die Rede von der narzisstischen Gesellschaft im Verhältnis zur klinischen Diagnose "narzisstische Persönlichkeitsstörung" untersucht.
Service
Dutton, Kevin: Psychopathen. Was man von Heiligen, Anwälten und Serienmördern lernen kann, dtv
Ehrenberg, Alain: Das Unbehagen in der Gesellschaft, stw
Ehrenberg, Alain: Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart, stw
Fisseni, Hermann-Josef: Persönlichkeitspsychologie. Ein Theorieüberblick, Hogrefe Verlag
Haller, Reinhard: Die Narzissmusfalle. Anleitung zur Menschen- und Selbstkenntnis, Ecowin-Verlag
Hirigoyen, Marie-France: Die Masken der Niedertracht. Seelische Gewalt im Alltag und wie man sich dagegen wehren kann, dtv
Maaz, Hans-Joachim: Die narzisstische Gesellschaft. Ein Psychogramm, dtv
McNab Andy: Die Männer von Bravo Two Zero, dtv
Roth, Gerhard: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten. Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern, Klett-Cotta
Stevenson, Robert Louis: The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde. Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde, dtv