Thomas Bredenfeld über Software-Marketing
Für wie blöd halten die uns?
Manchmal möchte man sich den nächsten greifbaren Marketing-Menschen zur Brust nehmen, ihn kräftig durchschütteln und fragen, für wie blöd er und seine Kollegen den p.t. Konsumenten eigentlich halten. Jüngstes Beispiel: eine neues PC-Betriebsystem.
8. April 2017, 21:58
Manchmal möchte man sich den nächsten greifbaren Marketing-Menschen zur Brust nehmen, ihn kräftig durchschütteln und fragen, für wie blöd er und seine Kollegen den p.t. Konsumenten eigentlich halten.
Als jüngstes Beispiel sei die äußerst penetrant beworbene Einführung eines neuen PC-Betriebsystems erwähnt. Da kommt eine Packung daher, die in Form und Farbe an ein Duschbad für Halbstarke erinnert, da werden vollmundig revolutionäre Features beworben, die Konkurrenten seit fast anderthalb Jahrzehnten an Bord haben, da wird kopiert, was das Zeug hält. Man hat es nicht mal für nötig gehalten, den Ideenklau zu kaschieren: Da heißt es "Aero" statt "Aqua" oder "Gadget" statt "Widget".
Als werbungsgeschädigte Konsumenten sind wir ja mittlerweile einiges gewöhnt. Die Firmen haben es ja auch wirklich schwer mit uns. Bei unserer mangelnden Konsumwilligkeit und Unaufmerksamkeit müssen sie schon zu rabiateren Mitteln greifen. Manchmal wähne ich mich bereits generell mitten im Krieg um mein (Kauf-)Interesse: Da gibt es "Guerilla-Marketing", jede Menge "Offensiven" und bei "Rollout" kann ich mir auch nur Kampfbomber vorstellen, die voll beladen mit Werbung aus dem Hangar geschoben werden. Und ist nicht selbst "Kampagne" ein militärisches Wort?
Um zu unserem Betriebsystem zurückzukommen: Steht diesem aufdringlichen Marketinggeklingel wenigstens ein (Mehr-)Wert gegenüber?
Man wird in dieser Hinsicht schnell skeptisch, wenn man nach einer ersten Installation das Gefühl hat, dass der gestern noch flotte und gar nicht so alte Rechner plötzlich zu Elektronikschrott degradiert wurde. Alles schön bunt und transparent, aber alles plötzlich auch sehr zäh. Dann stellt man fest, dass manche Teile des Rechners und Zubehör, die lange klaglos funktioniert haben, plötzlich den Dienst quittieren. Der bis jetzt noch halbwegs innovationswillige User wird langsam genervt und beginnt zu recherchieren: Für viele PC-Komponenten gibt es noch keine Treiber, sehr viel angeschlossenes Zubehör wird weder erkannt noch unterstützt. Die viel beworbenen, revolutionär neuen Sicherheitsfunktionen stellen sich schnell als nervende Dialogboxen heraus, die bei jeder Kleinigkeit besorgt nachfragen, ob ich das, was ich grad mache, auch wirklich will. Man gewöhnt sich schnell an, blind auf die Bestätigung zu klicken, bis man irgendwann mal was wirklich Gefährliches kritiklos abnickt. Andere Betriebssysteme verstecken die wirklich heiklen Sachen besser und lassen den User damit in Ruhe, soweit es geht und sinnvoll ist.
In vielen Foren und Blogs vor allem professioneller PC-User vieler Branchen wird mittlerweile ausdrücklich und mit teils drastischen Beispielen davor gewarnt, auf produktionskritischen Maschinen dieses neue System zu verwenden. Getoppt werden diese Wortmeldungen nur noch vom jüngsten Verbot des US-Verkehrsministeriums, das neue System in seinem Bereich einzusetzen. Dieses Verbot wurde sogar noch erweitert um die neueste Browserversion und die jüngste Office-Suite des gleichen Herstellers.
Beim Home-User mag man sich noch Chancen ausgerechnet haben, mit den überzogenen Hardware-Anforderungen des neuen Systems dem PC-Markt neue Marktimpulse geben zu können. Jetzt zeigt aber in diesem Fall endlich mal ein Großabnehmer, wie blödsinnig es angesichts von 15.000 Rechnern ist, die PC-Benutzer auf diese Art und Weise zu ihrem Glück zwingen wollen. Das lässt hoffen. Man gewöhnt sich den Gedanken schnell ab, bei dieser Neueinführung könnte es noch um Innovation gehen oder um wirkliche Verbesserung.
In der Werbung zu solchen Neuerungen wird vor allem herausgestellt, wie viel einfacher und leichter in Zukunft alles von der Hand gehen wird. Das krasse Gegenteil ist der Fall, zumindest für einen großen Teil der Nutzer dieses Systems. Wie man Produkte derartiger Qualität Flächen deckend an den Mann oder die Frau bringen kann, wird mir bei aller Einsicht in die Macht des Marketings ein Rätsel bleiben, vor allem, weil es Alternativen gibt.
Vielleicht muss man aber auch nur einmal den Wortsinn bemühen: Der Name des neuen Systems spricht von "Aussicht", vielleicht diejenige auf einen Benutzer, der eines Tages winzigklein und vollkommen weich (so der Name des Herstellers) als geduckter Konsument vor seinem PC kauert und bei allem und jedem, was ihm vom reichsten Mann der Welt beschert wird, gläubig auf "OK" klickt.
Ich persönlich will mit einem PC einfach nur arbeiten und nicht dauernd "Wow" sagen sollen!
Thomas Bredenfeld ist Medienproduzent, Künstler, Fachbuchautor und Softwaretrainer in Wien.
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Thomas Bredenfeld