Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten
Gefahr im Verzug
Seit Jahresbeginn können Telefon- und Internetdaten abgefragt und Mobiltelefone gepeilt werden. Ohne richterliche Kontrolle. Ein massiver Eingriff in die Privatsphäre und die Grundrechte, sagen die Kritiker. Kein Anlass zur Sorge, beschwichtigen die Verantwortlichen.
8. April 2017, 21:58
In einer Nacht- und Nebelaktion wurde am 5. Dezember kurz vor Mitternacht das neue Sicherheitspolizeigesetz verabschiedet. Letzte Änderungen wurden noch am Tag der Abstimmung eingebracht, was eine parlamentarische Diskussion verhinderte. Nur ein weiterer Grund für Kritiker auf die Barrikaden zu steigen.
Mit dem neuen Gesetz kann die Polizei seit Beginn dieses Jahres nicht nur Auskunft über Stammdaten wie Adresse und Telefonnummer sondern explizit auch von IP-Adressen verlangen, wenn Gefahr in Verzug ist. Mit Hilfe der IP-Adressen erhofft sich die Polizei Auskunft über den Standort eines gesuchten Computers zu bekommen. Die Freigabe dieser Daten kommt einer flächendeckenden Überwachung des Kommunikationsverhaltens im Internet gleich, sagt Hans Zeger von der ARGE Daten.
Ohne Richter
Da es sich bei den Anfragen nur um Stammdaten handle, und man keine E-Mails lesen werde, sei eine richterliche Genehmigung nicht von Nöten, hört man aus dem Innenministerium. Doch ohne richterlichen Bescheid müssen die Internetprovider jetzt selbst abwägen, ob die Anfragen gerechtfertigt sind, ob tatsächlich Gefahr im Verzug ist, was zu erheblichem Mehraufwand führt. Nicht alle Provider und E-Commerce-Betreiber beschäftigen Rechtsanwälte rund um die Uhr.
Warum die Richter ausgeschaltet wurden, weiß keiner so genau. Anfragen bei Richtern kosten Zeit und Geld, lautet eine Vermutung. Wenn Gefahr im Verzug sei, würde eine Genehmigung zu lange dauern, hört man von Befürwortern. Stimmt nicht, sagt Gerhard Reissner, Vizepräsident der Richtervereinigung. Richter sind 24/7 erreichbar und stellen binnen Minuten eine Genehmigung aus, wenn die Beweise ausreichen. Hans Zeger vermutet, dass sich die Polizei hinter den neuen Techniken verstecken will und zu bequem wird, um tatsächliche Verdachtsmomente zu eruieren. Sie wolle lieber mit der Annahme "Gefahr in Verzug" in Datensammlungen stöbern oder mit dem IMSI-Catcher Mobiltelefone peilen, so der Datenschützer. Mit dem IMSI-Catcher können Handys aufgespürt und Gespräche mitgehört werden. Ohne richterliche Genehmigung darf allerdings nur gepeilt werden, wenn Gefahr in Verzug ist. Die oft zitierten verlorenen Wanderer in Gletscherspalten oder Geiselnehmer wären konkrete Gefahrensituation, die einen Einsatz des IMSI-Catcher rechtfertigten, heißt es.
Arbeit im Laubhaufen
Telekommunikationsunternehmen sehen durch den Einsatz des Geräts das Kommunikationsgeheimnis in Gefahr. Alle Mobiltelefone in der Umgebung des IMSI-Catcher, buchen sich ein, die Besitzer merken nichts davon, werden aber registriert. Es werde zuerst das Laub zusammengerecht und dann ausgesiebt, was man wirklich brauche, vergleicht Rene Tritscher, Geschäftsführer des Fachverbands für Unternehmensberatung und Informationstechnologie in der Wirtschaftskammer Österreich das Vorgehen der Polizei.
Gefährdung für den Rechtsstaat?
Mit dem Rechtsbeauftragten wollen die Befürworter alle Sorgen aus dem Weg räumen. Der vom Bundespräsidenten ernannte Theo Tanner prüft alle Anfragen und veröffentlicht Ende des Jahres einen Bericht, wie oft gepeilt oder Stammdaten abgefragt wurden. Beschwerden können dann immer noch eingebracht werden. Im Nachhinein, wenn die Privatsphäre schon verletzt wurde.
Die Errungenschaften des liberalen Rechtsstaates, das Recht auf eine gewisse Freiheit und Anonymität, wird mit solchen Gesetzen sukzessive aufgehoben und die Weichen in Richtung Polizeistaat werden gestellt, sagt nicht nur Gerhard Reissner von der Richtervereinigung.
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Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 13. Jänner 2008, 22:30 Uhr
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