Stimmungsmache im Internet
Die Graswurzelbewegung
Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA war bestimmt vom Internet. Vor allem Barack Obama hat durch unzählige Wahlvideos, Profile auf den wichtigsten Sozialen Netzwerken und Online-Fundraising die Möglichkeiten des Internets wirksam genutzt.
8. April 2017, 21:58
Im Präsidentschaftswahlkampf in den Vereinigten Staaten von Amerika hat vor allem Barack Obama durch unzählige Wahlvideos, Profile auf den wichtigsten Sozialen Netzwerken wie myspace oder twitter und Online-Fundraising die Möglichkeiten des Internets wirksam genutzt.
Doch neben der Öffentlichkeitsmaschine der Kandidaten spielen auch unabhängige Blogger eine große Rolle im Wahlkampf: Sie decken Skandale auf, verbreiten sie dank Millionenpublikum schnell und weisen die großen Fernsehsender und die etablierten Tageszeitungen überhaupt erst auf wichtige Themen hin.
Blogs und die Politik
Das Wort "Blog" ist die Abkürzung von "Weblog", also einem Internet-Logbuch. Millionenfach schreiben Blogger auf der ganzen Welt über ihren Tagesverlauf, die neuesten Kinofilme oder eben Politik.
"Für mich ist bloggen die Möglichkeit, mich mit echter Politik und echten Politikern auseinanderzusetzen." Steven Clemons arbeitet beim Think Tank New American Foundation und verfasst einen der erfolgreichsten Blogs der Vereinigten Staaten, die "Washington Note".
Er war vor Kurzem im Wiener Kreisky-Forum für internationalen Dialog zu Gast. Und auch wenn sich Clemons nicht generell auf eine Partei oder einen Kandidaten festlegt, fließt seine persönliche Meinung stark in die "Washington Note" mit ein: "Mein Blog ist tendenziell, ich bin schließlich nicht der einzige objektive Blogger im Netz. Ich weiß nicht, ob mir die Ausgewogenheit, die ich erreichen möchte, besonders gut gelingt, aber ich versuche es."
Orientierung für politisch Interessierte
Dass Clemons Blog so erfolgreich ist, könnte aber genau an seinem Bemühen liegen, objektiver zu sein, als seiner Kollegen. Sowohl Republikaner als auch Demokraten lesen ihn und übernehmen Themen, Ideen und Anschauungen. Mit 20.000 bis einer Million Lesern pro Tag ist die "Washington Note" ein wichtiger Orientierungspunkte für politisch Interessierte.
Kein Wunder, dass einige große Printmedien Clemons tägliche Kommentare kaufen wollen: "Mir ist eine Menge Geld von Newsweek oder Time angeboten worden, die meinen Blog übernehmen wollten. Aber ich möchte meinen Blog unabhängig veröffentlichen, weil ich unabhängig bleiben möchte."
Blogs als Mainstream-Medien
Die Internetpräsenz wird für Printmedien langsam wichtiger als die gedruckte Zeitung. Schließlich holen sich laut einer Studie des PEW Internet Project zufolge 40 Prozent der Erwachsenen in den USA Informationen über die Wahl aus dem Netz. Das Marktforschungsinstitut Nielsen spricht von Wachstumsraten bei Blog-Leser von um die 200 Prozent. Und die zehn größten US-Tageszeitungen konnten die Leser der Blogs auf ihren Homepages innerhalb eines Jahres verdreifachen.
Doch warum nimmt der Einfluss von Internet-Tagebüchern so rasant zu? Die Geschwindigkeit und die Masse sind hier entscheidend. Zehntausende Blogger bilden ein Netzwerk, das per Schneeballprinzip Nachrichten verbreitet. Es ist eine "Graswurzelbewegung", viele kleine Blogs speisen größere, so dass es eine unbedachte Äußerung eines der Kandidaten vom hintersten Winkel des Landes blitzschnell bis in die Hauptnachrichten schafft.
Und im Gegensatz zu den US-Massenmedien haben Blogger die Macht von Kampagnen entdeckt. Über Wochen hinweg wird ein Skandal, wie die teure Kleidung der sich als bodenständig präsentierenden Sarah Palin, breitgetreten und immer wieder thematisiert.
Blogs machen Stimmungen
Machen Blogs die Welt demokratischer? "Ich glaube nicht, dass bloggen automatisch zu mehr Demokratie führt, es führt zu Meinungsvielfalt." sagt Clemons. Doch sie können durchaus auch das Gegenteil bewirken: Ein einflussreicher Blogger, dessen Meinung andere Blogger und unter dem Druck der Masse schließlich auch andere Medien übernehmen, besitzt eine gewisse Macht.
Momentan sind Blogs so etwas wie die breite Basis der Mediokratie: Sie beobachten und kontrollieren nicht nur die Politik, sondern auch das Informationsmedium Nummer Eins in den USA, das Fernsehen. Die unterschwellige Botschaft lautet: Ihr könnt keinen Skandal mehr unter den Tisch kehren. Und das ist demokratiepolitisch wünschenswert.
Hör-Tipps
Digital.Leben, Montag bis Donnerstag, 16:55 Uhr
Präsident 2.0 - Internet-Wahlkampf in den USA, Matrix, Sonntag, 2. November 2008, 22:30 Uhr
Link
Washington Note