Musik mit doppeltem Boden

Kurt Schwertsik wird 75

Am Freitag, 25. Juni 2010 feiert der Komponist Kurt Schwertsik seinen 75. Geburtstag. Bei der "Langen Nacht der neuen österreichischen Musik" ist dem charismatischen Künstler ein Schwerpunkt gewidmet.

Vom frühen Opus 4, einem Stück für Streichquartett ohne Namen, bis zum bisher letzten komponierten und tatsächlich mit Ein namenloses Streichquartett Op. 92 betitelten Werk für diese Besetzung reicht das Spektrum der 2007 vom Koehne-Quartett eingespielten ORF-Doppel-CD mit Werken von Kurt Schwertsik. Mit diesem Streifzug durch sein Lebenswerk ließe sich auch eine Korrektur des allzu leichtfertig sich einstellenden Bildes des mit Humor agierenden Komponisten erhören, bis hin zum erwähnten jüngsten Werk, dessen klangschöne und zugleich komplexe vierteilige Erzählform in durchaus "himmlisch" gemeinte Regionen des Reflektierens und Transzendierens weist.

Sein hintergründiges Charisma, sein verschmitztes Lachen, seine Gabe, amüsant demaskierend Geschichten zu erzählen: Man kennt all dies an Kurt Schwertsik als Person des Musiklebens ebenso, wie man Selbiges als Eigenschaften seiner Musik erkennen kann. Und doch, Schwertsik im O-Ton: "Die Ironie ist eine Hinzufügung. Man kann in der Musik manchmal lustig sein, aber die Ironie greift immer zu kurz. Die Ironie ist eine Lebenshaltung, eine Art, mit den Widerwärtigkeiten des Lebens umzugehen, das ist alles."

Legendäre kompositorische Handschrift

Legendär ist Schwertsiks kulturell-organisatorische Mitarbeit am Wiener Musikleben, von der Gründung des Ensembles "die reihe" über die Salonkonzerte bis zur Professur; legendär all die verschiedenen Unternehmungen mit Cerha, Zykan, Gruber, mit seiner Familie und vielen anderen. Ebenso legendär seine kompositorische Handschrift, die nicht auf die Neuerfindung der Welt aus ist, sondern immer Früheres oder auch Fiktives durchschimmern lässt; Musik, die einen reflexiven, nachdenklichen Umgang mit der Welt pflegt.

Mit zuerst zerschnipselten und dann recollagierten Liszt'schen Liebesträumen war Kurt Schwertsiks Ablösungsprozess von der Darmstädter Avantgarde als Opus 7 mit dem Titel "Liebesträume für sieben Spieler" 1963 hörbar geworden. Nach Jahren der aktiven Teilhabe an der Nachkriegsavantgarde in und rund um Darmstadt wandelte sich sein kompositorisches Selbstverständnis nicht zuletzt durch Freundschaften wie jene mit Cornelius Cardew und gewährte den Abbildern der realen Welt mehr und mehr Einlass in seine Musik. Von den aufmüpfigen Aspekten der MOB art & tone ART über die politisch lokal-reflexiven Aspekte beispielsweise der "Wiener Chronik 1848", über eindeutig historisch Position beziehende Werke wie "Ein empfindsames Konzert" bis hin zur großen Reflexion über die symphonisch-orchestrale Tradition in "Irdische Klänge" spannt sich der Bogen von Kurt Schwertsiks zutiefst sehnsuchtsvollem, wenn auch manchmal "kasperlndem" Versuch, die Vergangenheit in die Zukunft weiterzuschreiben.

Absurdes und Skurriles

Kurt Schwertsik schreibt Musik, die einen doppelten Boden zu haben scheint, die sich in eine (wienerische) Tradition gepflegten Instrumentalspiels einreiht, in Klangbild und Motivik auf Verschiedenstes Bezug nimmt, manchmal mehr ironisch, manchmal ein wenig wehmütig, die aber oftmals in sich etwas Absurdes oder Skurriles zu verbergen scheint.

Der Umgang mit Vergangenem wurde mit der Zeit subtiler, und für einige Jahre liebte es Kurt Schwertsik, seine musikalischen Übertragungen von Aufgefundenem in den Dienst paradoxer Rekonstruktion von Musik zu stellen, mit Musik aus fiktiven Urkulturen hinterhältige Science-Fiction zu betreiben. "Musik vom Mutterland Mu - Eine "Rekonstruktion" für 11 Instrumente" ist eines dieser Stücke, doch auch diesmal bleibt der Gestus janusköpfig, und im launigen Text dazu folgt gleich nach der Science-Fiction-Passage die Anmerkung: "Übrigens gibt es auch auf der Erde genügend Kulturen, die den Fortschritt in der Wiederherstellung der Vergangenheit suchen: Man denke nur, wie oft die Antike in Europa wiederbelebt wurde." Und - fügt Kurt Schwertsik verbal und doch wieder verschmitzt hinzu, "Ich seh' das gern ein bisserl großräumiger. Wie ich erfahren habe, dass der Nebukadnezar Altertümer sehr geliebt hat, und wann immer etwas zweitausend Jahre alt war, ganz begeistert war und es restaurieren hat lassen, da dachte ich, ja das gibt schon eine schöne Perspektive!"