Erzählungen von Aleksandar Hemon

Liebe und Hindernisse

Acht Storys, die sämtlich vom Schreiben und Erzählen handeln – man kann den Erzählungsband "Liebe und Hindernisse" von Aleksandar Hemon durchaus auf diese ein wenig selbstbezüglich klingende Weise zusammenfassen. Gerecht wird man ihm damit aber nicht.

Sex, Drogen und Arbeit

Hemons Konzentration auf das eigene Handwerk geht einher mit dessen Erprobung an einer Vielzahl von Stoffen und Orten: Die Schauplätze der Erzählungen liegen in Kinshasa, Sarajewo und Chicago, ihre Themen sind Sex, Drogen und die Arbeit in Drückerkolonnen für Zeitschriften-Abonnements, dazu gibt es wilde Kinderkriegsspiele, feuchte Jungmännerträume und Brutalitäten unter Männern. Aleksandar Hemon lässt seine Erzählkunst ziemlich üppige Blüten treiben.

Bei aller Unterschiedlichkeit werden die Geschichten durch einen Erzähler zusammengehalten, der vermutlich immer derselbe ist: Er wächst als Sohn eines jugoslawischen Botschaftsangestellten in Sarajewo auf, gerät unmittelbar vor der Belagerung seiner Heimatstadt nach Chicago, bleibt dort im Exil und besucht Jahre später regelmäßig ein völlig verändertes, fremdes Sarajewo.

Ähnlichkeiten mit dem Autor sind nicht zufällig. Hemon wurde 1964 in Sarajewo geboren und befand sich in den USA, als in seiner Heimat der Krieg ausbrach. Er blieb im Exil und begann nach drei quälenden Jahren, in denen er nicht mehr auf Serbokroatisch schreiben wollte, Englisch zu schreiben. Der abrupte Sprach- und Kulturwechsel, die Fremdheitserfahrungen des Autors haben in allen seinen Werken, auch in seinem letzten, gefeierten Roman "Lazarus", Spuren hinterlassen: Die Identitäten von Hemons Figuren sind porös und schwankend, sie werden durchs Erzählen gefestigt. Oder auch erst gefunden.

"Zu viel" für Briefe

Hemons Protagonisten in "Liebe und Hindernisse" wissen um diese verführerische, aber nicht ungefährliche Kraft des Erzählens. In der ersten Geschichte will der 16-Jährige, der als Sohn eines jugoslawischen Botschaftsangestellten einige Wochen in Kinshasa verbringt, seiner Freundin Asra in Sarajewo von allen seinen Erlebnissen berichten. Doch seine Abenteuer mit einem Amerikaner namens Spinelli sind "zu viel" für Briefe.

Und erst recht Spinellis Erzählungen von seinen Hurereien, Schmuggeleien und Morden in allerlei Ländern! Sie sind "untadelig, während er sie erzählte, wären aber in schriftlicher Form offenkundige Lügen gewesen", schreibt der jugendliche Erzähler – natürlich, nachdem er sie in eine schriftliche Form gebracht, also geschildert hat. Was im Brief, in der Wirklichkeit keinen Platz hat, findet ihn in der Erzählung. Seht her, sagt Hemon, ich erzähle Euch Räuberpistolen! Und was für welche!

Streng dokumentarische Biografie

Nun ist die Behauptung, dies hier sei Achtung! Fiktion!, womöglich auch eine Räuberpistole – schließlich schreibt Hemon sie in einer Erzählung nieder... Dieser Schriftsteller ist ein gewitzter postmoderner Konstrukteur, dessen Imaginationskraft es mit allem Denkbaren und Möglichen aufnimmt. Natürlich auch mit den Verächtern der Fiktion, als der der Vater des Erzählers in der Geschichte "Die Bienen, Teil 1" auftritt:

Entsetzt über die Lügen auf der Leinwand zerrt er die entrüstete Familie aus dem Kino. Allerdings will der Fiktionsverächter irgendwann sein Leben verfilmen. Das Drehbuch fällt streng dokumentarisch aus:

1. Ich werde geboren. 2. Ich kann laufen. 3. Ich hüte die Kühe. 4. Ich verlasse das Elternhaus und gehe zur Schule. 5. Ich komme nach Hause zurück. Alle freuen sich.

Die Verfilmung geht jedoch gründlich schief: Der als Darsteller des Vaters auserkorene Sohn winkt dem Vater-Regisseur nicht gefühlvoll genug, plötzlich stehen die Tanten verlegen lächelnd im Bild, dann flieht der Sohn vor einer wütenden, im Drehbuch nicht vorgesehenen Biene. Die Erzählung, auch die dokumentarisch der Wahrheit verpflichtete, folgt eigenen, nicht zu kontrollierenden Gesetzen.

Dichte Atmosphäre

Ein Spott, der vor nichts zurückschreckt, prägt die Erzählungen. Zuweilen tut Hemon allerdings des Guten zu viel: Ein Geschlechtsverkehr klingt dann wie eine Probe für einen Porno, das ärmliche Emigrantenzimmer ähnelt einer existenzialistischen Kunstinstallation, und wenn der Erzähler ein Internet-Café in Sarajewo besucht, dann liquidiert der jugendliche Nachbar zur Linken reihenweise virtuelle Soldaten, während der Angestellte zur Rechten sich gelangweilt durch Sadomaso-Angebote klickt.

Hemon muss sich hüten vor der allzu vollständigen und stilisierten Ausgestaltung jeder Szene. Das gilt auch für den Übersetzer Rudolf Hermstein, der die dichte Atmosphäre der Erzählungen wunderbar trifft, aber Hemons Neigung zur literarischen Stopfgans schon mal erliegt und dem staunenden Leser dann "ereignisreiche Ohrringe" präsentiert.

Fiktiver Tod

Aleksandar Hemon ist die ganze Welt kein Spiegel-, sondern ein Fiktionskabinett. Deren Bewohner kommen einander nicht nahe. In einer einzigen Szene entkleidet ein Mann einen anderen, legt ihn zu Bett und sich neben ihn – doch beide sind stark betrunken, und der Ausgekleidete schläft tief. Das intime Geschehen ähnelt eher einer Grablegung, mit der tatsächlich die letzte Geschichte endet:

Der Erzähler hat einen amerikanischen Schriftstellerkollegen in Sarajewo herumgeführt und zu seinen Eltern eingeladen. Sie sehen sich nicht wieder, aber in einem Roman des Amerikaners findet der Erzähler Jahre später einen Widerhall ihrer Begegnung: Der Autorenrivale sagt ihn in einer Szene seines Buches tot. Noch der Schnitter ist in diesem Fiktionskabinett fiktiv. Ein passender Paukenschlag am Ende eines starken Erzählbands.

Service

Aleksandar Hemon, "Liebe und Hindernisse. Erzählungen", aus dem Englischen übersetzt von Rudolf Hermstein, Knaus Verlag

Knaus - Aleksandar Hemon