Druck auf Nicht-Mitglied Schweiz steigt

Arbeitsgruppe gegen Beziehungskrise

Die Beziehung der Schweiz zur EU sind schwierig. Rund 120 bilaterale Abkommen regeln das Verhältnis. Brüssel ist immer weniger gewillt, weitere Sonderwünsche zu erfüllen. Eine neue Arbeitsgruppe soll Lösungen für die stotternden Beziehungen finden. Unterdessen diskutieren die Schweizer heftig über die künftige Rolle in der EU.

Mittagsjournal, 20.07.2010

Komplexes Netz bilateraler Verträge

Der Besuch der Schweizer Bundespräsidentin in Brüssel verlief so, wie es solch diplomatische Treffen immer tun. Man lächelte freundlich, der Händedruck war kollegial. Doch der Tonfall der Gespräche hat sich geändert. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso betonte die Schwerfälligkeit des Verhältnisses mit der Schweiz. Er meint, das Netz der bilateralen Verträge sei komplex geworden und schwer zu handhaben.

"Schweiz müsse EU-Recht übernehmen"

Deutlicher wurde EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Künftig müsse die Schweiz EU-Recht übernehmen, wenn sie verstärkt am Binnenmarkt teilnehmen wolle, sagte Rompuy und erinnerte an eine entsprechende Erklärung der EU-Mitgliedsstaaten vor zwei Jahren. "Das bedeute vor allem die Übernahme des acquis communautaire, die Anwendung und Auslegung unseres Rechts", erklärt Rompuy.

Präsidentin betont Souveränität

Bisher übernahm die Schweiz in ihren Verträgen mit der EU nur den Status Quo des geltenden Rechts im jeweiligen Bereich, nicht aber dessen Weiterentwicklung. An einen automatischen Nachvollzug des EU-Rechts ist auch künftig nicht zu denken, betont Bundespräsidentin Leuthard. "Wir sind ein souveräner Staat. Wir können nicht einfach akzeptieren, Beschlüsse aus Brüssel zu übernehmen."

Arbeitsgruppe sucht Lösungen

Nun soll eine Arbeitsgruppe mit Experten beider Seiten bis Jahresende Lösungen ausarbeiten, wie die Beziehungen zwischen Bern und Brüssel vereinfacht werden können. Fest steht, dass die Schweizer Regierung die Europapolitik neu überdenken muss. Bisher galt der so genannte "Bilaterale Weg" als einzig gangbarer für die Schweiz. Seit der Ablehnung des EWR-Beitritts im Jahr 1992 gilt dieser oder gar ein EU-Beitritt als Tabu.

EU-Mitglieder genervt von Extrawünschen

Doch inzwischen ist klar, dass die immer zahlreicher werdenden EU-Staaten allmählich von Extrawürsten durch bilaterale Abkommen für die Schweiz nichts mehr hören wollen. Im Gegenteil, der Druck auf die Eidgenossen, sich den EU-Regeln zu beugen wird immer grösser, sei es nun in Sachen Informationsaustausch von Bankdaten oder im Steuerbereich.

"Über EWR-Beitritt nachdenken"

Unterdessen wird auch in der Schweiz wieder heftig über eine weitere Annäherung an die EU debattiert. Die einflussreiche Denkfabrik Avenir Suisse, die von grossen Unternehmen getragen wird, fordert sogar, die Schweiz solle noch einmal über einen Beitritt zum EWR abstimmen. Dazu die stellvertretende Direktorin von Avenir Suisse, Katja Gentinetta: "Die Schweiz würde einen großen Teil des EU-Binnenmarktrechts übernehmen. Sie würde weiterhin den Schweizer Franken behalten, was sehr wichtig ist. Und die Schweiz würde ebenfalls die Freiheit behalten international bilaterale Verträge abzuschließen, was ein weiteres, sehr wichtiges Kriterium ist."

Schweiz muss zu einer Lösung kommen

Eine provokante Aussage, die derzeit unter den Schweizern wohl kaum mehrheitsfähig ist. Ebenso wenig wie die alte Forderung der Linksparteien nach einem EU-Beitritt. Zu sehr hängen die Schweizer an ihrer Unabhängigkeit und der direkten Demokratie. Im Herbst will die Regierung einen neuen Bericht zur künftigen Europapolitik vorstellen. Man darf gespannt sein, denn aussitzen wird die Schweiz die Beziehungskrise mit der EU nicht können.