Die Musik des Sam Shalabi

Müll rein, Müll raus

Mit einem erfrischend unkonventionellen Zugang und ungewöhnlicher Instrumentierung schafft es Sam Shalabi in seiner Musik Okzidentales und Orientalisches auf eine überraschende und faszinierende Art und Weise miteinander zu verbinden.

Ein scharfsinniger Beobachter

Sam Shalabi ist ein sehr genauer und ein sehr scharfsinniger Beobachter. Die kreative Aufbruchsstimmung im Montreal der 1990er Jahre hat den in so vieler Hinsicht beeindruckenden Gitarristen, Oudisten, Komponisten und Künstler, musikalisch ursprünglich verwurzelt im Jazz, in seiner politischen Meinung geprägt, und auch der Umstand, dass er zwangsläufig zu einem Wanderer zwischen den Kulturen wurde.

Auf die Welt gekommen sei er in Libyen, schildert Shalabi, wo seine Eltern gerade auf Reise waren. Die ersten fünf Lebensjahre verbrachte Sam Shalabi daraufhin in Alexandria, bis die Familie von Ägypten eben nach Kanada auswanderte. Es sei viel Musik gehört worden, bei ihnen zu Hause, insbesondere viel arabische Musik, und eines Tages schenkte der Vater, selber Musiker, dem Sohn einen Oud.

Schlüsselinstrument Oud

"Bald war ich komplett besessen, von diesem Instrument", erinnert sich Sam Shalabi zurück, "ich habe viel Zeit damit verbracht, herauszufinden, wie man es spielt, im Kontext der arabischen Musik. Der Oud und diese intensive Beschäftigung mit nicht-westlicher Musik hat mein Denken über Musik völlig verändert, und auch meine Herangehensweise an die Improvisation. Ich habe mir Fragen gestellt wie etwa: Warum gilt diese Tonfolge als Tonleiter und jene nicht? Warum ist das eine musikalisch und das andere nicht?"

Garbage in, garbage out

Seine musikalische Methode, so Sam Shalabi danach gefragt, ließe sich in vier Worten auf den Punkt bringen: "garbage in, garbage out", - Müll rein, Müll raus. Er versuche die Temperatur des Geschehenden zu erfühlen, führt Shalabi weiter aus, "und ich versuche, das dann widerzugeben, und dabei aber nicht zu sehr in meine ästhetischen Vorstellungen zu kleiden. Es ist lustig, aber das ist auch einer der Gründe, warum einige Leute denken, dass das, was ich mache, nur ein Witz ist. Es gibt Passagen auf meinen Alben die einfach schlecht sind, die schlechte Musik sind. Aber so muss es auch sein, denn das ist ein Teil dessen, was ich sehe; es ist ein Teil jener Gefühle, die ich in Musik umsetzen möchte."
Sam Shalabi konzentriert sich nicht darauf, etwas Schönes zu machen, etwas von gutem Geschmack. Er liebt es, die Dinge zu betrachten, und versucht das Gesehene möglichst unmittelbar in Musik zu übersetzen. Akkurat solle sie sein, seine Musik, betont der Künstler im Interview immer wieder, und vieles von dem, was man auf der Welt so beobachten könne, sei nun einmal leider schlecht.

Osama

In den Stücken für das Album "Osama" versuchte Sam Shalabi das spannungsgeladene politische Weltklima nach 9/11, so wie er es empfand, möglichst direkt in Musik zu übertragen. "All diese Künstlerinnen und Künstler, die bereits seit Jahren verlautbart haben, dass wir das System ändern müssen - plötzlich passierte dieses so Folgenschwere Ereignis, das auf all das, was wir Kunstschaffenden tun, einen derart großen Einfluss hat, und all diese Künstlerinnen und Künstler kehren dem Geschehen einfach nur den Rücken, sagen, dass sie nichts sagen wollen", rekapituliert Shalabi.

"Also darum geht es in der alternativen Musikkultur, hab ich mir damals gedacht. Zuerst heißt es bla, bla, bla, und wenn dann wirklich etwas passiert: Ah, ich spiel lieber ein bisschen Gitarre und dreh an den Knöpfen meines Synthesizers herum. Das hat mich sehr wütend gemacht, und ich war desillusioniert. Ich habe herausgefunden, dass es auch in der alternativen Musikkultur den Musikerinnen und Musikern nur um ihre Karriere geht, den meisten zumindest. Ich habe herausgefunden, dass sich die meisten gar nicht für Politik interessieren, dass sie ihr politisches Engagement, ihr widerständiges Verhalten beinahe wie ein Effekt-Pedal benutzen, das man einsetzt, wenn es bequem ist. Wenn man in einem Restaurant spielt, dann setzt man es nicht ein, weil dann ist es nicht bequem, dann könnte es womöglich der Karriere schaden."

Haarsträubendes von rechts...

Der Vorname Sam steht eigentlich für Osama, und als ein solch Genannter sah sich Sam Osama Shalabi in den Wochen und Monaten nach den Terroranschlägen vom 11. September mit viel Diskriminierung konfrontiert. Pitchfork Media etwa weigerte sich, sein Album "Osama" zu rezensieren, weil es den Albumtitel, wie Shalabi erzählt, als für zu geschmacklos befand.
"Das ist jetzt irgendwie komisch zu sagen, aber es wurde mir bewusst, wie dumm die Leute sind, wir geradezu grundlegend dumm wir sind", zieht der Künstler Schlussfolgerung, "das wir einfach nicht sehen können, in welcher Phantasmagorie wir leben, um mit Walter Benjamin zu sprechen, in welch bizarrem Traum, der ja eigens für uns geschaffen wurde. Und in diesem bizarrem Traum ist natürlich jeder, der Osama heißt, schlecht, und natürlich sind die Araber so und so und die Muslime so und so. Es war für mich sehr deprimierend, mich plötzlich mit dieser Haltung derart massiv konfrontiert zu sehen, wo ich ja auch gar nicht religiös bin, ich bin nicht einmal besonders arabisch. Immer waren die Leute völlig entsetzt, nachdem sie meinen Namen gelesen haben, Osama, und ich habe mich gefragt, ob denn nun plötzlich alle über Nacht zu Idioten geworden sind."

...und links

Und Sam Shalabi weist darauf hin, dass es da auch diesen gewissen Bereich in der Welt des anarchistischen Aktivismus gibt, in dem, wenn man ein Problem mit dem Staat Israel hat, und das habe er, so der Musiker, also dass in diesem Bereich dann automatisch angenommen wird, dass man gleichzeitig antisemitisch ist.

"Ich habe in der damaligen Zeit Leute getroffen, die gemeint haben, nur weil ich Osama heiße und weil ich arabisch bin und meine Eltern Moslems sind, nur deswegen, so die sofortige Annahme, sei ich auch antisemitisch", erzählt Sam Shalabi, "und ich hab mir dann immer gedacht: Was bist denn du für ein Idiot? Benützt du Aktivismus und Anarchismus als einen Rahmen, in dem du deinen Antisemitismus präsentieren kannst, oder umgekehrt oder was ist los? All diese Gefühle haben bei der Arbeit an dem Album 'Osama' für mich hier zusammengespielt."

Vielseitige Zusammenarbeit

Sam Shalabi arbeitet gerne und viel mit anderen zusammen, auch das ist ein wesentliches Element seiner musikalischen Arbeitsweise. Das Album "Osama" etwa ist unter der Mithilfe von über 25 Montrealer Musikerinnen und Musiker entstanden. Die von ihm geladenen Gäste bittet Shalabi für sie komponierte Mikrokompositionen einzuspielen, aus denen er dann seine Stücke formt. Der Künstler mag es aber auch, wenn sich seine Gäste mit ihren eigenen Ideen in den Entstehungsprozess seiner Musik einbringen.

Wenn man immer nur alleine arbeite, dann könne das mitunter ganz schön klaustrophobisch und auch größenwahnsinnig werden, so Sam Shalabi: "Manchmal tut es gut, ein bisschen aus dem Konzept gebracht zu werden. Manchmal denkt man sich dann, eigentlich will ich es gar nicht mehr so machen, wie ich es gerade noch machen wollte, eigentlich will ich es jetzt so wie der oder die andere machen. Manchmal sind sogar die Fehler, die die anderen machen interessanter, als das ursprünglich von mir Geschriebene."

Außenseiter unter Außenseitern

Im Jahr 2006 ging Sam Shalabi für eine Zeit in das Land seines Ursprungs, nach Ägypten, konkret nach Kairo, und arbeitete dort gemeinsam mit gleichgesinnten Musikerinnen und Musikern an den Stücken für sein schließlich viertes Solo-Album "Eid".

Anfänglich habe er sich wie ein Außenseiter gefühlt. Zwischen anderen Außenseitern sei er dann aber bald heimisch geworden, lässt Sam Shalabi seine Zeit in Kairo Revue passieren: "Das machte mir die Stadt sehr sympathisch, weil ich eben Teil dieses Underground-Netzwerkes sein konnte. Ich fand es aufregend, in dieser Stadt, in der alles so dicht gedrängt ist, so laut und so verschmutzt. In Kairo ist es irgendwie total verrückt, und in all dieser Verrücktheit sind diese Leute, die dort Musik machen, eine Musik die ich verstehen kann; Leute die ich schätze, und die auch mich schätzen. Da entsteht so viel Interessantes, von dem niemand Notiz nimmt, das niemanden kümmert. Die Leute fliegen nach Ägypten, um sich die Pyramiden, die Tempeln und all das anzusehen, aber es gibt so viel mehr."

Egyptian Light Orchestra

Shalabi arbeite mit vielen Musikerinnen und Musikern zusammen, davon war bereits die Rede. Eigentlich nur logisch, dass Shalabi schließlich auch ein Orchester gründete, sein "Egyptian Light Orchestra Land of Kush". Auch in seinem Orchesterprojekt verbindet der Musiker Okzidentales und Orientalisches auf eine überraschende und faszinierende Art und Weise. Angetrieben hätte ihn primär die Neugierde, erzählt er, wie das eben klingt.

"Es klingt großartig, es klingt sehr seltsam", beschreibt Shalabi die Musik seines Orchesters, "ich lasse Temperiertes auf Nicht-Temperiertes treffen. Und ich verwende dafür eine unübliche Instrumentierung. Ich verwende zum Beispiel den Synthesizer, der ganz und gar nicht temperiert ist, im Gegensatz zur Gitarre, die zwangsläufig immer temperiert ist. Ich versuche einen Klang zu schaffen, der zwar orientalisch ist, aber nicht im üblichen traditionellen Rahmen. Das ist meine Art, arabische Musik zu machen.

Service

Sam Shalabi, "Eid", Alien 8 Recordings, ALIENCD74
Sam Shalabi, "Osama", Alien 8 Recordings, ALIENCD37
Land Of Kush's Egyptian Light Orchestra, "Monogamy", Constellation Records, CST066
Land Of Kush, "Against The Day", Constellation Records, CST058

Sam Shalabi
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