Helfer appellieren an Hilfsbereitschaft

Die unterschätzte Katastrophe

Nach der Flutkatastrophe in Pakistan sind die Spenden spärlich, erst ein Drittel der benötigten Summe ist eingelangt. Die Zurückhaltung der Spender wird mit der Angst begründet, das Geld könnte den Taliban in die Hände fallen. Helfer versuchen, das unvergleichliche Ausmaß der Katastrophe klarzumachen.

Morgenjournal, 18.08.2010

Krisenregionen nicht erreichbar

Auch mehr als zwei Wochen nach dem Beginn der katastrophalen Regenfälle ist in Pakistan das Schlimmste noch lange nicht überstanden, sagt Neva Khan, die Leiterin des Büros der Hilfsorganisation Oxfam in Islamabad: "Leider verschlechtert sich die Lage weiter. Es hat neue Regenfälle gegeben, die Monsun-Saison ist ja noch nicht vorüber. Und große Teile des Landes sind weiter von der Außenwelt abgeschnitten, weil dort die Infrastruktur zerstört ist. Die Brücken und Straßen sind wegeschwemmt, und speziell bergige oder entlegene Gebieten sind jetzt nur schwer zu erreichen. Außerdem steht in vielen Gegenden das Wasser noch immer so hoch, dass man sie nur mit Hubschraubern oder Booten erreichen könnte. Aber das Problem ist, dass es davon einfach nicht genug gibt in Pakistan." Was natürlich auch heißt, dass die Menschen in diesen Gebieten bisher keine Hilfe erhalten haben: "Zur Zeit brauchen die Menschen wirklich ganz Grundlegendes: Sauberes Wasser, Nahrungsmittel, ein Dach über dem Kopf, medizinische Versorgung. Aber die meisten Leute bekommen all das derzeit nicht."

Katastrophe unterschätzt

Seit 22 Jahren arbeitet Neva Khan in Pakistan, und noch nie hat sie eine auch nur annähernd vergleichbare Katastrophe erlebt. Doch viele in Europa, so meint die Hilfskoordinatorin, hätten noch nicht erkannt, wie groß das Ausmaß der Verwüstungen tatsächlich ist: "Die Zahl der Toten war nicht sehr hoch. Und daher hat man nicht diese schrecklichen Bilder gesehen wie nach einem Erdbeben oder nach dem Tsunami. Aber wenn man nicht auf die Toten schaut, sondern auf die Zahl der Menschen, die von den Überschwemmungen betroffen sind, so ist das eine viele größere Katastrophe als der Tsunami, das Erdbeben von 2005 in Pakistan oder auch das Erdbeben in Haiti." Dass dies außerhalb Pakistans so nicht wahrgenommen werde, so meint Neva Khan von Oxfam, sei vermutlich einer der Gründe, warum die Spenden aus Europa bisher nur spärlich eintreffen: "Wenn wir mehr Mittel hätten, könnten wir viel, viel mehr tun", sagt die Hilfskoordinatorin.

Viel größer als Katrina

Aber hat nicht auch die pakistanische Regierung beim Hilfseinsatz versagt? Sie kenne diese Kritik aus Europa, sagt Khan, aber man müsse auch bedenken, dass Pakistan ein Entwicklungsland sei, derzeit von der Wirtschaftskrise gebeutelt werde, dazu noch einen Krieg gegen islamische Extremisten führe, und außerdem hätte kein Wetterdienst diese außergewöhnlichen Regenfälle vorhergesagt: "Nehmen sie nur das Beispiel des Hurrikans Katrina und die Schwierigkeiten, die die USA gehabt haben, diese Krise in den Griff zu bekommen. Und die USA sind immerhin eines der reichsten Länder der Welt. Aber diese Krise hier in Pakistan ist viel, viel größer."

Es wird noch viele Tote geben

Nun gehe es jedenfalls einmal darum, das Problem mit dem Trinkwasser in den Griff zu bekommen, sagt Neva Khan. Denn die Zahl gefährlicher, ja tödlicher Durchfallerkrankungen, ausgelöst durch verseuchtes Wasser, nehme bereits zu. Und so sei eines bereits jetzt praktisch sicher: "Die Zahl der Toten wird noch deutlich ansteigen", so die Hilfskoordinatorin.

Regierung versagt

Zwei bis drei Autostunden im Nordwesten von Islamabad sind es religiöse Gruppen, die bescheidene Hilfe leisten. Regierungs- oder Armeefahrezeuge sind nicht zu sehen. Die Politik ist zerstritten, wie Hilfsgelder in Pakistan aufgeteilt werden sollen. Hilfscamps würden nur als Kulisse für Fernsehkameras bei Auftritten des Premierministers errichtet, erzählt man. Die Regierung ist bei der Bevölkerung völlig in Misskredit geraten. Das Machtvakuum wird von religiösen Gruppen aufgefüllt, aber auch deren Hilfe ist bescheiden.

Reportage aus Pakistan

Morgenjournal, 18.08.2010, von

Spendenfluss stockt

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind bisher nur 160 Millionen Dollar (124,4 Mio. Euro) Soforthilfe für Pakistan eingegangen - rund ein Drittel der erbetenen Summe. Die Vereinten Nationen hatten am Mittwoch vergangener Woche 459 Millionen Dollar (352 Mio Euro) Soforthilfe bei der internationalen Gemeinschaft angefordert.

Beteuerungen der Regierung

Angesichts des weiter geringen Spendenaufkommens hat die Regierung in Islamabad erneut einen gewissenhaften Umgang mit den Hilfen versichert. Man überlege auch, ausländische Prüfer zu Überwachung der Verwendung von Spenden einzustellen, sagte Innenminister Rehman Malik am Mittwoch der britischen BBC. Keinesfalls würden die Hilfen in die Hände von Extremisten gelangen.

Morgenjournal, 18.08.2010

Stefan Tröndle

WFP befürchtet Hungersnot

Das Welternährungsprogramm (World Food Program, WFP) mit Sitz in Rom erwartet, dass in Pakistan fast sechs Millionen Menschen mit Lebensmitteln versorgt werden müssen - etwa vier Prozent der Bevölkerung. Die Vereinten Nationen gehen von weit mehr als 15 Millionen Obdachlosen aus. Bisher hätten erst eine Million Menschen mit einer Monatsration an Nahrungsmitteln versorgt werden können. Weil die Menschen keine Möglichkeit haben, ihre Nahrung zu kochen, setzten die Vereinten Nationen auf mit Eiweiß und Nährstoffen angereicherte Kekse. Mindestens drei Monate soll diese Art von Erstversorgung andauern.