Erstaunen über Häupl-Vorstoß
SPÖ-ÖVP-Irritation um Wehrpflicht
Ist es ein Wahlkampfmanöver des Wiener SPÖ-Spitzenkandidaten Michael Häupl oder bahnt sich jetzt - nach 55 Jahren - tatsächlich das Ende der Wehrpflicht an? Der Vorstoß des Wiener Bürgermeisters für eine Volksbefragung über die Abschaffung der Wehrpflicht sorgt jedenfalls für Polit-Wirbel, auch in der Koalition.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 05.10.2010
Darabos: Erst verhandeln
Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) wirkt Dienstagvormittag nicht erfreut über den Vorstoß seines SPÖ-Parteikollegen Michael Häupl. Er erklärt, was alles vor einer Volksbefragung noch geschehen muss, um dann schließlich keinen Zweifel daran zu lassen, was - Stand heute - seine Präferenz ist. Jetzt gehe es darum, eine Sicherheitsstrategie gemeinsam mit der ÖVP auszuhandeln und zu klären, wohin sich Österreich sicherheitspolitisch entwickelt. "Und dann kann man die Bürger auch befragen, ob es sinnvoll ist, die Wehrpflicht abzuschaffen. Meine Meinung ist derzeit: Es gibt kein besseres System als das jetzige."
Spindelegger "erstaunt"
Das will Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP), regierungsinterner Verhandlungspartner Darabos' in Heeresfragen so nicht stehen lassen. Darabos habe noch vor kurzem keine Diskussionsbereitschaft über die Wehrpflicht gezeigt, stimme jetzt aber einer Volksbefragung zu. Der Außenminister gibt sich erstaunt: Diese Wandlungsfähigkeit verstehe er nicht ganz. Darüber könne man am Ende reden, so Spindelegger, aber vorher müsse man ernsthaft darüber diskutieren, das Bundesheer weiterzuentwickeln und wie man eine Wehrpflicht neu definiere.
Berlakovich: "Kreativer Denkansatz"
Schelte also auf ÖVP-Seite - aber nicht durchgehend. Umweltminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) lässt aufhorchen und spricht von einer "unglaublichen Zäsur in der Geschichte", dass sich die SPÖ einer Diskussion öffne. Aus ÖVP-Sicht begrüße er das. Der Vorstoß Häupls sei ein "kreativer Denkansatz". Und dass sich Michael Häupl in der SPÖ nicht durchsetzt, das schließe er aus.
Faymann: Diskussion ohne Tabus
Dann die Regierungsspitzen, Kanzler und Vizekanzler. SPÖ-Chef und Bundeskanzler Werner Faymann sagt: Aber nein, das sei doch kein plötzlicher Schwenk seiner Partei. Schon Bundeskanzler Vranitzky habe gesagt, dass man langfristig über ein Berufsheer werde nachdenken müssen. Und die Diskussion sei auch zur Stunde zu führen, weil "rund um Österreich international andere Lösungen vorangetrieben werden." Und er, Faymann, sei für eine offene Diskussion ohne Tabus, "ohne was hat irgendwer vor zehn Jahren dazu gemeint". Mit anderen Worten, seine Meinung ändern wird man ja noch dürfen, vielleicht, unter Umständen.
Seitenhieb Prölls
Vizekanzler Josef Pröll (ÖVP) kann sich einen Seitenhieb auf den Wahlkämpfer Michael Häupl, der mit seinem Vorstoß die Diskussion ins Rollen gebracht hat, nicht verkneifen: ÖVP-Außenminister Spindelegger habe vor ein paar Wochen angeregt, die Wehrpflicht neu zu überdenken. Jetzt habe sich der Wiener Bürgermeister ein paar Tage vor der Wahl - "obwohl er genug andere Sorgen hätte wie Integration und Sicherheit" - zu dieser Thematik geäußert. Wieder mit anderen Worten formuliert: Bürgermeister, bleib bei deinem Leisten.
Erst diskutieren, dann fragen
Einige Aufregung also heute über den Zeitpunkt und den Urheber des Volksbefragungs-Vorstoßes. In der Sache selbst sind sich Kanzler und Vizekanzler einig: Erst diskutierten, dann ein neues Heereskonzept festlegen - und zwar bis Jahresende - und dann eine Volksbefragung. Wann die wiederum abgehalten werden soll, ist noch unklar. Verteidigungsminister Darabos sieht sie in frühestens eineinhalb Jahren.
Opposition erfreut
Der Schwenk der Sozialdemokraten in Sachen Wehrpflicht stösst auf Zustimmung bei den Oppositionsparteien - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. So sind die Freiheitlichen nach wie vor für ein Beibehalten der Wehrpflicht, die Grünen und das BZÖ sind wie bisher für ein Abschaffen. Eine Volksbefragung zur Wehrpflicht finden aber alle drei Parteien gut.
Mittagsjournal, 05.10.2010
FPÖ: "Mehrheitsergebnis umzusetzen"
Ein Abschaffen der Wehrpflicht mittels Volksbefragung - das scheint für die Freiheitlichen schwer vereinbar: Einerseits sind sie für die Wehrpflicht, andererseits aber auch für direkte Demokratie. Beides vertritt Parteiobmann Heinz-Christian Strache auch heute - sagt aber, ein Mehrheitsergebnis sei zu akzeptieren und umzusetzen.
BZÖ: Wahlkampf-Munition
Das BZÖ wiederum will gerade heute Dienstag im Parlament einen Antrag zum Abschaffen der Wehrpflicht einbringen. Für Herbert Scheibner vom BZÖ liegt der Schwenk der Sozialdemokraten am Wiener Wahlkampf. Es ist immer gut, wenn man das Volk zu Hilfe holt, wenn man selbst nicht weiterweiß." Allerdings zeige der Vorstoß, dass man das Thema nicht ernst nehme, sondern für den Wahlkampf missbrauche.
Grüner Entschließungsantrag
Der Grüne Wehrsprecher Peter Pilz ist seit langem erklärter Gegner der Wehrpflicht und will sie per Jänner 2011 fallen sehen: Ob die SPÖ nun wahlkampfbedingt oder nicht eine Volksbefragung dazu will, darin sieht er kein Problem. Die Grünen wollen in der Sondersitzung Dienstagnachmittag einen Entschließungsantrag auf das Abhalten einer Volksbefragung zur Wehrpflicht einbringen.
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