"Der Herr Karl" in den Kammerspielen

Der "Bodensatz der Österreicher"

Es war die Paraderolle des Helmut Qualtinger: Der Herr Karl. Diese Figur eines opportunistischen Mitläufers hat Anfang der 1960er Jahre gleichermaßen Protest- und Begeisterungsstürme ausgelöst. In den Wiener Kammerspielen hat das Stück nun wieder Premiere. Direktor Herbert Föttinger inszeniert, den Herrn Karl spielt Martin Zauner.

Kultur aktuell, 20.10.2010

Gegenwartsbezug durch Tagespolitik

Wenn Herbert Föttinger politisch was erzählen will, dann tut er das anhand seiner Spielplangestaltung. Dann ruft er Schwerpunkte aus - wie im Frühling zum Thema Vergangenheitsbewältigung - oder setzt wie in diesem Herbst Stücke wie "Heldenplatz", "Cabaret" oder eben den "Herrn Karl" an. Er denke, dass der Blick in die Vergangenheit auch die Gegenwart besser erklärt, so Föttinger.

Manchmal kommt Föttinger die Tagespolitik gelegen und hilft einen Gegenwartsbezug herzustellen, manchmal muss er sich auf die Zeitlosigkeit der Stücke berufen. Das Qualtinger/Merz-Stück vereint wohl beides. Föttinger hat den Herrn Karl buchstäblich entstaubt, und ihn aus dem Keller eines vollgestopften Lebensmittelladens heraufgeholt und in einen weißen leeren Bühnenkubus gestellt.

Zauners "eigener" Herr Karl

Martin Zauner spricht den einstündigen Monolog stehend, ohne Anhaltspunkte und Requisiten, der Text wird durch Zwischenmusiken unterteilt. "Ich konzentriere mich auf die Verteidigungsrede des Opportunisten", sagt Zauner.

Diesen Opportunisten, Mitläufer, Mittäter, Wendehals, Egoisten und Anpassler hat Anfang der 1960er Jahre Helmut Qualtinger erst im Fernsehen und später erfolgreich in den Kammerspielen dargestellt - und sich in den Köpfen der Menschen als der Herr Karl schlechthin eingeprägt. Für Martin Zauner ist diese Nachfolge kein Problem. Er schafft seinen eigenen, ganz auf den Text konzentrierten Herrn Karl: "Für mich ist es der Bodensatz der Österreicher."

Nägel im Kopf

Die heftigen Kontroversen, die das Stück vor 50 Jahren ausgelöst hat, rührten wohl daher, dass der Herr Karl derselben Generation angehörte wie der Großteil des Publikums, das die Zwischenkriegszeit, den sogenannten "Anschluss" an Nazi-Deutschland und die Nachkriegsjahre selbst miterlebt hatte und sich vielleicht hie und da selbst entlarvt sah.

Heute löst das Stück, das immer wieder auf den Spielplänen steht - zuletzt mit Heribert Sasse oder Erwin Steinhauer -, ähnlich wie Thomas Bernhards "Heldenplatz" Erheiterung aus. Doch Lachen erzeugt ja bekanntlich Nägel im Kopf - und genau das will Herbert Föttinger bewirken.

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Theater in der Josefstadt - Der Herr Karl