Auf der Suche nach den Ausbildungsstätten

Allahs Missionare

Über 179 Seiten hinweg berichtet der Reporter Willi Germund über seine Versuche, in Pakistan und Afghanistan die Stätten kennen zu lernen, in welchen die Gotteskrieger ihr ideologisches Rüstzeug erhalten, das sie zu Terroristen und zu Selbstmordattentätern werden lässt.

Am Ende seines Buches " Allahs Missionare. Ein Bericht aus der Schule des Heiligen Krieges" gelangt Germund zu einer düsteren Einschätzung.

In Afghanistan wurde vom Westen die Chance vertan, einen vorzeigbaren demokratischen Entwurf gegen die Islamisten mit ihrer dogmatischen und intoleranten Weltsicht zu etablieren. Die Enttäuschung kann nicht mehr umgekehrt werden. Es ist zu spät. Im Grunde ist deshalb jeder Cent, der in Afghanistan und Pakistan ausgegeben wird, vergebene Liebesmüh. Sosehr jeder ausgegebene Cent vertan ist, sosehr wird auch jedes Menschenleben, das dem Konflikt zum Opfer fällt, unnütz verschenkt. Gewiss, dies würde bedeuten, den Verteidigern des Glaubens das Feld zu überlassen. Aber im Grunde haben sie schon längst gewonnen - jedenfalls solange es nicht gelingt, die Bevölkerung für eine tolerante und effektivere Alternative zu mobilisieren.

Von der Denkschule zur Staatsideologie

Ideologisch sei der Kampf bereits entschieden - um zu diesem Urteil zu gelangen, hat Willi Germund eine lange Reise unternommen. Er besuchte die Dörfer Afghanistans und durchstreifte Pakistan, von der südlichen Hafenmetropole Karatschi mit ihren theologischen Hochschulen, über die Provinz Punjab, in denen sich die fundamentalistischen Tendenzen im Alltag deutlich zeigen, bis nach Norden ins Swat-Tal, in dem die Taliban ihre Herrschaft errichtet hatten, bis sie vom Militär wieder vertrieben wurden.

Obwohl er daran scheitert, tatsächlich die Ausbildungsstätten von Allahs Missionaren kennen zu lernen, gelangt er am Ende seiner Reise zu folgender These: Die Wurzel aller Übel, von denen Afghanistan und Pakistan heimgesucht werden, bildet die Denkschule der Deobandi.

Der Name Deobani leitet sich vom nordindischen Ort Deoband ab. Er liegt etwa 100 Kilometer nördlich von Delhi. Dort wurde 1866 als Reaktion auf die Kolonialherrschaft der Briten die bis heute einflussreichste islamische Hochschule des gesamten indischen Subkontinents gegründet, die einen puristischen rückwärtsgewandten Islam vertritt. Musik und Fernsehen sind verboten, Frauen müssen sich stets verschleiern und so weiter. Nach der Teilung britisch Indiens erlebte die Deobandi-Denkschule vor allem in Pakistan einen rasanten Aufschwung.

Der staatlich gelenkte Deobandi-Marsch durch die Institutionen, den Zia-ul-Haq in Gang setzte, veränderte das Gesicht der pakistanischen Bürokratie, des Militärs und der Geheimdienste. Die Denkschule wurde schließlich zur Staatsideologie, die bereits ab dem ersten Schultag gelehrt wird. Mehrere pakistanische Generationen sind mittlerweile mit den ideologischen Grundlagen der Deobandi aufgewachsen.

Wo bleiben die Fakten?

Nach diesen Sätzen der Einleitung wartet man das ganze Buch hindurch gespannt auf Fakten, die sie untermauern würden, doch Germund bleibt sie schuldig. Zwar dominieren die Deobandis das religiöse Bildungssystem, doch, wie Germund selbst erwähnt, besuchen nur etwa fünf Prozent der Schüler eine religiöse Schule.

Das Wort "Staatsideologie" ist kaum nachvollziehbar. Immerhin waren es die Anwälte, die für einen demokratischen Rechtsstaat kämpfen, die es geschafft haben, die Militärdiktatur Pervez Musharrafs zu beenden. Dass es in Geheimdienst und Militär Kräfte gibt, die die Ideen der Deobandi teilen und die Taliban unterstützen, ist unbestritten, doch die wenigsten Offiziere würden sich tatsächlich der Entscheidungsgewalt der Mullahs unterordnen. Und bei den Wahlen zeigt sich, dass die Bevölkerung nur sehr geringe Sympathien für die islamischen Parteien hat.

Skepsis kommt auch an anderen Stellen auf. So trifft Willi Germund bei Kunduz einen 32 Jahre alten Pakistani, der an einer theologischen Hochschule namens Dar-ul Uloom studiert hat:

Der junge Geistliche hat in der Lehranstalt studiert, die sich in der pakistanischen Hafenstadt Karatschi systematisch von der Außenwelt abgeschirmt hat. Seit Jahren erhält niemand mehr Zutritt, Journalisten schon gar nicht.

Ähnlich äußert sich Willi Germund auch zu einer anderen islamischen Hochschule in Karatschi, zur Jamia Binori Town: "Die Leitung der Medresse empfängt keine westlichen Besucher mehr."

Im Gegensatz dazu hat der Rezensent beide Hochschulen 2008 selbst ausgiebig besucht und mit den Direktoren gesprochen. Auch ein "Zeit"-Reporter hatte keine Probleme, die Binori Town Madrasa zu besuchen, und schreibt:

Germund gibt nicht an, wann er welchen Ort besuchen wollte, dadurch ist schwer zu beurteilen, ob er absichtlich übertreibt. Der Verdacht liegt nahe, denn er behauptet, auch Taliban-Führer Mullah Omar habe an der Binori Town Madrasa studiert, was im Widerspruch zu den wichtigsten Quellen zu den Taliban steht.

Atmosphärisch dichter Reisebericht

Durch mutmaßliche Übertreibungen und nicht belegte Informationen verspielt Germund ohne Notwendigkeit Glaubwürdigkeit. Denn er ist ein guter Beobachter und schreibt spannend. So lernt er im Haus eines pakistanischen Freundes in Rawalpindi den 18-jährigen Hausboy Farman Ali kennen. Es stellt sich heraus, dass der Bursche aus einem der berüchtigten Stammesgebiete von Deobandi-Mullahs zum Selbstmord-Attentäter ausgebildet wurde.

Ganze 14 Jahre alt ist Farman Ali, als die stundenlangen wilden und romantisch klingenden Märchen vom Heiligen Krieg plötzlich verstummen und die Talibankämpfer stattdessen zwei Listen auslegen. Der Junge und seine Freunde in der Koranschule sollen sich entscheiden. Auf einer Liste sollen diejenigen Teenager ihren Namen eintragen, die zu einem 14-tägigen militärischen Grundkurs ausrücken wollen. Die zweite Liste ist für Studenten bestimmt, die zu allem entschlossen sind. Wer sich hier einträgt, soll bereit sein, sein Leben bei einem Selbstmordattentat zu opfern. Es gibt keinen einzigen Schüler, der seinen Namen auf keine Liste setzt. Farman Ali schreibt sich in beiden ein.

Fazit: Willi Germund hat große Risiken und viel Mühe auf sich genommen, um ein spannendes Buch vorzulegen. Man sollte es aber nicht als Analyse zur Grundlage politischer Entscheidungen machen, sondern eher als atmosphärisch dichten Reisebericht lesen.

Service

Willi Germund, "Allahs Missionare. Ein Bericht aus der Schule des Heiligen Krieges", DuMont Verlag

DuMont - Willi Germund