Kunst als Lebensinhalt

Karola Kraus über Künstlerfreunde

"Ich denke, dass Begegnungen einen ganz hohen Stellenwert im Leben einnehmen, sei es eine Begegnung mit einem Objekt, mit einem Kunstwerk oder mit einem Menschen: Begegnungen machen das Leben spannend." Karola Kraus, die neue Leiterin des MUMOK, des Museums Moderner Kunst in Wien.

Karola Kraus, Museumsdirektorin

"Martin Kippenberger hat mir eine ganz andere Welt eröffnet."

Wie spannend Begegnungen - zumal mit Künstlern - sein können, erlebte Kraus schon früh in ihrem Elternhaus: Als Tochter der bedeutenden deutschen Sammlerfamilie Grässlin gingen in ihrem Elternhaus im Schwarzwald zahlreiche Maler, vornehmlich Vertreter der "informellen Kunst", einer abstrakten Stilrichtung der Nachkriegszeit, ein und aus. Leben mit Kunst war für Karola Kraus also gleichsam Alltag.

Das Leben bereichert

Anfang der 80er Jahre tauchte Martin Kippenberger bei den Grässlins auf. Aus dem Umfeld der Jungen Wilden kommend, machte der exzentrische Künstler dem Namen der Strömung alle Ehre, stellte nicht nur bestehende Kunstbegriffe von Grund auf infrage, sondern warf auch die überschaubare Kunstwelt der Tochter des Hauses über den Haufen.

"Sie müssen sich vorstellen, dass mein Leben vor meiner Begegnung mit Martin Kippenberger von Begegnungen mit älteren Herren geprägt war, die eigentlich eine ganz andere Lebenseinstellung hatten als ich als junges Mädchen", erinnert sich Karola Kraus. "Und als Martin Kippenberger das erste Mal zu uns nach Hause kam, habe ich gespürt, wie ähnlich wir uns sind, und dass wir eigentlich auch ganz ähnliche Denkansätze haben. Er hat mir eine ganz andere Welt eröffnet, in die ich dann auch eingetaucht bin und die mein Leben stark bereichert hat."

Demontage etablierter Kunst

Martin Kippenberger arbeitete mit Absurditäten und Provokationen an der Demontage etablierter Kunst und herkömmlicher Geschmacksvorstellungen. Er kreuzigte etwa einen grasgrünen Kunststoff-Frosch, verzichtete auf Öl- oder Acrylfarben, schuf seine Werke lieber aus Latex und Gummi - oder ließ sie überhaupt gleich von Anderen anfertigen. Auch in seinen Alltag baute Kippenberger gern kleine Schreckmomente ein:

"Einmal waren wir im Reiterclub im Schwarzwald, und da saß eine Frau neben uns, die die ganze Zeit unseren Gesprächen zugehört hat, und wo man auch gemerkt hat, dass die sich über uns mokiert hat, und da hat Martin Kippenberger einen Radiergummi in den Mund genommen auf dem 'absoluter Härtefall' stand und hat die Dame dann ganz direkt angeschaut - und damit war die Kommunikation mit ihr beendet. Das war so eine Art schwarzer Humor, weil Martin Kippenberger hatte in seiner Jugendzeit ja die halbe Nase abgeschlagen bekommen - und dann dieser 'absolute Härtefall'! Also er hatte nicht nur einen lustigen Humor, sondern oft auch einen sarkastischen Witz."

Ein Bild als Lebensbegleiter

1997 starb Martin Kippenberger in Wien an den Folgen übermäßigen Alkoholkonsums. Für Karola Kraus ist er nach wie vor lebendig, er ist jener Mensch, der sie zur professionellen Beschäftigung mit Kunst führte. "Eine geglückte Begegnung ist etwas, was einem immer wieder in den Sinn kommt, einen nicht loslässt und ein Leben lang beschäftigt", sagt sie. Auch ein Bild kann diese immense Wirkung haben:

"Ich bin 1984 mit meinem Bruder in die berühmt-berüchtigte Ausstellung 'Von hier aus nach Düsseldorf' gegangen, und da hab ich ein Bild gesehen, das einen nachhaltigen Eindruck auf mich hinterlassen hat, und zwar das Bild 'Hört auf zu malen' von Jörg Immendorff. Sie müssen sich das Bild so vorstellen: Es ist eigentlich ein sehr schlecht gemaltes abstraktes Bild, bestehend aus Orange- und Brauntönen, und da ist ein Kreuz über das abstrakte Feld gemacht, und über diesem Kreuz steht: 'Hört auf zu malen'. Und für mich hab ich gedacht, einerseits könnte das ja ein Appell an die Kollegen von Jörg Immendorf sein, denn man weiß ja, dass Jörg Immendorf, Markus Lüpertz und Georg Baselitz immer in irgendeiner Weise in einem Konkurrenzkampf zueinander standen, und möglicherweise war dies ein Appell an seine Kollegen, um in Ruhe weitermalen zu können, was ich auch sehr humorvoll finde. Andererseits hab ich mir damals auch gedacht, die 80er Jahre waren ja so eine Art Wiedergeburt der Malerei nach den ganzen Ausdrucksformen der Minimal Art und Konzeptkunst, also man hat damals die Malerei wieder neu entdeckt, und da hat dieses Bild 'Hört auf zu malen' schon einen gewissen Denkanstoß ausgelöst."

Kunst muss Fragen aufwerfen

Tatsächlich gewannen in der Folge andere Medien, etwa die Fotografie oder die Medienkunst mehr und mehr Stellenwert. Ob der Appell Jörg Immendorfs eine Vorwegnahme dieser Entwicklung war, kann Karola Kraus nicht mit Bestimmtheit sagen. Jedenfalls tauchte sein Bild immer wieder vor ihrem geistigen Auge auf, sie begann, sich mit den Positionen der Konzeptkünstler auseinanderzusetzen, die das Kunstwerk sozusagen entmaterialisierten und stattdessen eine bestimmte "Idee" in den Vordergrund stellten. In der Kunst sei es ja oft so, dass bloß Impulse gegeben werden, ob diese Anstöße ankommen und wirklich etwas auslösen können, liegt beim Publikum:

"Ich denke, dass eine ganz wichtige Eigenschaft von Kunst, von guter, von wichtiger Kunst ist, dass sie sehr viele Fragen aufwirft und eben nur ganz wenige Antworten liefert! Und die Antworten, die die Kunst liefert, die muss sich eigentlich jeder selber überlegen. Ich denke, und das ist auch das Spannende an der Kunst, dass die Kunst Denkanstöße verursacht. Wichtig ist, was der Betrachter beim Betrachten eines Bildes empfindet, und meine Empfindung war für mich immer wieder, dass dieses Bild in ganz unterschiedlichen Kontexten immer wieder in meine Gedankenwelt eingedrungen ist, und dass ich eigentlich immer wieder überlege, wie war das eigentlich damals gemeint, als er dieses Bild Anfang der 80er Jahre gemalt hat, und dass dieses Bild eigentlich auch so Vorausahnungen in sich birgt. Ob diese Vorausahnungen bei Immendorf tatsächlich präsent waren, das kann heute keiner mehr beantworten."

Alles hat seine Ordnung

Kunst sei ihr Lebensinhalt, sowohl privat als auch beruflich, sagt Karola Kraus. Durch Kunst kann die Betrachterin sich selbst wieder erkennen; ein Bild kann zu einem täglichen Gegenüber werden. Von ihrem Schreibtisch aus blickt die Direktorin des MUMOK auf ein Werk, das für sie ein "Appell zur Arbeit" ist.

"Es ist ein Bild von Haimo Zobernig, ein sehr frühes Bild von ihm, bestehend aus schwarzer Fläche und runden grauen Scheiben, die mit Strichen verbunden sind, und ein kleines weißes Rechteck; also eigentlich ein sehr konstruktives Bild. Für mich bringt dieses Bild eine gewisse Form von Geordnet-sein herüber. Und wenn Sie meinen Schreibtisch anschauen, sehen Sie auch, dass hier alles sehr geordnet ist. Für mich ist Arbeiten etwas, was funktional sein muss, wo eben eine gewisse Form von Ordnung herrschen muss. Und ich denke, dass dieses Bild diese Charaktereigenschaft von mir ganz gut transportiert."

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