Jürg Amann arbeitet Höß-Biografie auf
Der Kommandant
Man glaubt, in zahlreichen Filmen, Büchern und Theaterstücken die Verbrechen der NS-Zeit aufgearbeitet zu haben, alles zu wissen über das Grauen, das die Vernichtungsmaschine Hitlers über die Menschen brachte. Doch es geht noch schlimmer: Wenn ein NS-Verbrecher seine Taten selbst erzählt, ungerührt und ohne Reue.
8. April 2017, 21:58
Kultur aktuell, 19.01.2011
Es ist eine schockierende Reise in den Kopf eines Massenmörders. In seinen Bekenntnissen, die Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß vor seiner Hinrichtung niederschrieb, zeigt er keine Reue. Er bleibt überzeugter Nationalsozialist.
Eine Idee, eine Anschauung, der man bald 25 Jahre lang angehangen hat, mit der man verwachsen, mit Leib und Seele verbunden war, lässt man nicht einfach dahinfahren, weil die Verkörperung dieser Idee, der nationalsozialistische Staat, seine Führung, falsch, ja verbrecherisch gehandelt haben und weil durch dieses Fehlen, durch dieses Handeln diese Welt zusammenbrach und das gesamte deutsche Volk auf Jahrzehnte hinaus in namenloses Elend gestürzt wurde. Ich kann das nicht.
Kein Anflug von Reue
Der Zürcher Schriftsteller Jürg Amann stieß bei Recherchen über die NS-Zeit auf die rund 300-seitige Niederschrift von Rudolf Höß. In diesen autobiografischen Notizen beschreibt Höß sein privates und berufliches Leben, seinen Aufstieg zum treu dienenden Auschwitz-Kommandanten und das tägliche Morden im Konzentrationslager. Dieses Selbstzeugnis eines Nazi-Verbrechers habe ihn so erschüttert, dass er diesen Schock und dieses Staunen an die Leser weitergeben wollte, sagt Jürg Amann:
"Ich weiß nicht mal, ob's Abscheu ist. Es ist eher ein großes Staunen bei mir gewesen: das ist menschenmöglich! Auch das Staunen darüber, dass einer im Nachhinein bereit ist, das alles so freimütig zu bekennen, ohne - meines Erachtens - Anflug von Reue oder Erkenntnis."
Nichts dazu erfunden
Amann verdichtet die umfangreichen Notizen von Rudolf Höß, spitzt sie zu und macht sie für den Leser leichter konsumierbar. Er kommentiert jedoch nichts, erfindet nichts dazu. Wo man die Wirklichkeit haben könne, sei jede Fiktion überflüssig, meint Jürg Amann. Und hat den schockierenden Monolog auch als Reaktion auf das vor einigen Jahren erschienene Buch "Die Wohlgesinnten" von Jonathan Litell verfasst. Denn dieses Einfühlen in einen NS-Täter in Form eines Romans sei skandalös, meint Amann:
"Mir war es im Grunde zuwider, sich in einen Täter einfühlen zu wollen - zumal ich eben auf dem Tisch das Selbstbekenntnis in Originaltonform eines der Haupttäter hatte. (...) Ich setze diesem fiktiven Versuch die Originaltonversion des Täters entgegen."
"Noch einmal den Finger drauflegen"
Die Frage, ob es nicht allmählich genug Bücher und Filme über die Grauen der NS-Zeit gebe, verneint Jürg Amman: "Solange es möglich ist, dass es Holocaust-Leugner gibt auf dieser Welt, in dieser sogenannt 'aufgeklärten' Welt, und so lange es auch noch einen deutschen Papst gibt wie jetzt, der solche Holocaust-Leugner nicht nur schützt, sondern unter das schützende Dach seiner Kirche zurückholt - was skandalös ist meiner Meinung nach - sind solche Versuche, wieder darauf hinzuweisen, noch einmal den Finger draufzulegen gerechtfertigt."
Allein das Wissen, dass der ungeschminkte Monolog in Jürg Amanns "Der Kommandant" direkt aus der Feder eines der größten Nazi-Schergen stammt, dürfte viele Leser erschüttern.
Textfassung: Red.
Service
Jürg Amann, "Der Kommandant", Arche Verlag
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