Botho-Strauß-Uraufführung an der Burg
Rätselhaftes blindes Geschehen
"Das blinde Geschehen" ist der Titel des jüngsten Stückes des deutschen Dramatikers Botho Strauss, das am 11. März 2011 im Wiener Burgtheater zur Uraufführung gelangte. Die hochkarätige Besetzungsliste wird angeführt von Dörte Lyssewski und Robert Hunger-Bühler, Burg-Direktor Matthias Hartmann hat inszeniert. Das Publikum hat die Aufführung nur mit mildem Applaus aufgenommen.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 12.03.2011
Wenn es schwer fällt, den milden Premierenapplaus mit ein paar zaghaften Bravos und ebensolchen Buhrufen richtig zu interpretieren, dann hilft ein zufällig aufgeschnapptes Gespräch an der Garderobe weiter. Eine begeisterte Dame möchte ihre skeptische Freundin von der Qualität des eben Gesehenen überzeugen. “Da war doch so viel drinnen, das waren doch großartige Bilder und erst die tollen Schauspieler”. Ja, schon, antwortet die andere, aber was soll das Ganze?”
Die Frage ist berechtigt, und drängt sich während des zweieinhalbstündigen Abends öfters auf. Die Wiedergabe des Inhalts gelingt so schlecht, als müsste man einen Traum nacherzählen, assoziativ, fragmentarisch und blitzlichtartig wechseln die Szenen, immer wieder wird man in neue, fantastische Bildwelten entführt. Cyberwelt trifft auf reale Welt, Mann trifft auf Frau, Körper auf Geist, Kultur auf archaische Kraft.
Kern des Stückes bildet das Geschehen im nackten Zimmer, einem leeren weißen Raum mit großem Fenster, in dem sich Freya Genetrix - das Urweib und John Porto der E-Artist ihren Geschlechterkampf liefern.
Dazwischen gibt es Revue-Engel und den Chor der Ungeträumten, ein singendes, tanzendes Varieté-Mikrophon, die Schattin, die struppige Sophie, die beleibte Reporterin und den Livrierten. Und immer wieder als drohende Macht im Hintergrund, die nur akkustisch wahrnehmbaren Riesen vom Berge - die als kollektive Angst, Feinde der Kunst oder aufstrebende Wirtschaftsmacht interpretierbar sind.
Manche Dialoge sind real, nachvollziehbar und voll ironischer Weisheiten gespickt, etwa wenn der E-Artist, der am Schluss von allen Netzen entfernt wird, resümiert: “Ohne Anschluss - plump wie Caliban, ein Offline-Schrat”.
Dann wieder fühlt man sich in einen David Lynch Film versetzt.
Das insgesamt hervorragende Schauspielerensemble wird angeführt von Dörte Lyssewski und Robert Hunger-Bühler als Freya Genetrix und John Porto. Maria Happel, Regina Fritsch, Bibiana Zeller, Christiane von Poelnitz, Peter Matic oder Michael König sind nur einige Namen der hochkarätigen Besetzungsliste.
Matthias Hartmann hat “Das blinde Geschehen” hervorragend visualisiert - sehr poetisch etwa das Schlussbild- als der Chor der Ungeträumten, der eben noch den Aufstand geprobt hat, vom Bühnenbild zerquetscht wird, und sich die Realität als die kaltbeleuchtete Hinterbühne endlos weit öffnet.
Fazit: Botho Strauss hat viele - manchmal vielleicht zuviele Träume in sein Stück gepackt - und Matthias Hartmann hat wieder einmal bewiesen, dass er fremde Träume einzukleiden versteht. Die Traumdeutung allerdings bleibt jedem Zuschauer selbst überlassen.