Ernst Ulrich von Weizsäcker im Interview

"Den Atomenergie-Ausstieg bewältigen"

Welche Lehren zieht die Energiepolitik aus Fukushima? Der deutsche Naturwissenschaftler und Gesellschaftskritiker Ernst Ulrich von Weizsäcker erwartet künftig mehr nationale Alleingänge beim Atomausstieg und empfiehlt unter anderem, Energie grundsätzlich teurer zu machen.

Ernst Ulrich von Weizsäcker

im Mittagsjournal-Interview am 22.03.2011 mit Barbara Daser

Nicht das Ende der Atomindustrie

In einem technologisch führenden Land mündet eine Naturkatastrophe in eine kaum beherrschbare Lage - welche Lehre ziehen andere Staaten daraus? In Deutschland, Dänemark und Italien sei es vermutlich der Ausstieg aus der Atomenergie, meint Ernst Ulrich von Weizsäcker, Klimaexperte und SPD-Politiker. Das gelte aber nicht für Japan. Dort werde die Atomenergie "selbstverständlich" weitergehen. Das gleiche gelte für Frankreich, vermutlich für Belgien, die Slowakei und mit "ziemlicher Sicherheit" für Russland. Das Unglück Japan sei nicht das Ende der Atomindustrie, aber ein Grund, sehr viel vorsichtiger damit zu sein.

Langfristige Entwicklung

Mitteleuropa müsse nun zeigen, dass Wohlstand nicht von Atomenergie abhängig sei - und davon zum Beispiel Frankreich überzeugen. Er glaube nicht, dass man eine EU-Einigung für einen Ausstieg im Lauf der nächsten zehn Jahre zustande bekommt. "Was wir zustande bekommen können, sind nationale Alleingänge wie der von Österreich. Deutschland wird vielleicht sogar im Lauf der nächsten zehn Jahre den letzten Atommeiler abschalten. Wenn man schafft, ernsthaften Klimaschutz und zugleich großen Wohlstand zur schaffen, dann wird das vermutlich zu einer Bewegung innerhalb Europas führen", die letztlich eine EU-weite Einigung möglich machen könnte, hofft Ernst Ulrich von Weizsäcker.

Ausgleich durch Energie sparen

Fraglich ist, wie ein Atomausstieg bewältigt wird - bringt er etwa einen Boom von Kohle und Gas mit sich? Das müsste man umgehen, so Weizsäcker, mit einer ernsthaften Strategie der Effizienzverbesserung. Effizienz plus erneuerbare Energien (also Wind, Wasser, Sonne, Biomasse, Geothermie) laute die Formel, um sich von Atomenergie und von Kohle zu verabschieden, so der Klimaexperte.

Höhere Preise, sozial verträglich

Energieeffizienz verleite oftmals zu mehr Verbrauch. Daher tritt er zusätzlich für höhere Preise ein. Doch nachdem teurer Strom und Sprit Einkommensschwache eher treffen, weil der Energie-Anteil an ihren monatlichen Ausgaben größer ist, schlägt von Weizsäcker ein sozialverträgliches Modell vor: "Nur oberhalb einer bestimmten Energieverbrauchsmenge wird Energie teurer."

Wettbewerbsfähiger durch teure Energie

Bedenken, das sei der Wirtschaft nicht zumutbar, entgegnet Weizsäcker mit einem Verweis auf Japan: Dort habe man in den 1970er-Jahren die Energiepreise aktiv über das Weltmarktniveau angehoben. Entgegen der Jammerei der japanischen Industrie habe es keine De-Industrialisierung Japans gegeben, so der Naturwissenschaftler. Zwar sei die energieintensive Aluminiumindustrie abgewandert. Stattdessen habe man auf Digital-und Hochtechnologie gesetzt. "Nach 15 Jahren Höchstpreisen für Energie in Japan war Japan das wettbewerbsfähigste Land der Erde."

Atomenergie und Kohle abhaken

Und heute, unter dem Eindruck der Reaktoren-Havarie in Japan und den Atomausstieg-Debatten in Mitteleuropa? Impulse für neue Entwicklungen zur Energie-Effizienz werden aus seiner Sicht aus Asien und Europa kommen - sofern Atomenergie und Kohle abgehakt werden. In anderen Worten: Aus der Not eine Tugend machen.

Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Ernst Ulrich von Weizsäcker ist derzeit bei der Landtagswahl im deutschen Baden-Württemberg aktiv. Er unterstützt SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid und ist Teil von dessen möglichen Regierungsteam.

Das ausführliche Interview

Barbara Daser spricht mit Ernst Ulrich von Weizsäcker

Service

Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Mittwochabend, 23. März 2011, 18:30 Uhr Gast bei einer Podiumsdiskussion im Wiener Techgate. Titel: „Die Welt am Rande des Ökologiekollapses - sind neue Technologien das Allheilmittel?" Die Diskussion ist öffentlich zugänglich, der Eintritt ist frei; Anmeldung: office@techgate.at