Erinnerungen der Argentiniern Gladys Ambort

Wenn die anderen verschwinden sind wir nichts

Ab 1974, dem Beginn der zweiten peronistischen Epoche, war Argentinien vom Terror geprägt. Tausende Menschen verschwanden, andere wurden eingesperrt. Eine davon war die damals erst 17-jährige Schülerin Gladys Ambort, die aufgrund ihres politischen Engagements zwischen 1975 und 1978 inhaftiert und mit knapp 21 Jahren ins französische Exil geschickt wurde.

Gladys Amborts Fall war einer der letzten, der die Regimekritik in Argentinien auf dem Rechtsweg behandelte: Als ihr eigener Anwalt einige Zeit nach ihrer Festnahme in den Folterkellern des Regimes verschwand, regierte bereits kriminelle Willkür bei der Verfolgung von Regimegegnern. Es galt ein Sonderrecht, nach dem der Staat ohne Begründung als gefährlich eingestufte Personen verhaften konnte.

Eine kleine Bemerkung führt ins Gefängnis

Gladys Ambort wird in Cordoba geboren, schon mit 15 engagiert sie sich politisch. Als nach dem Putsch in Chile eine Politisierungswelle die argentinische Jugend erfasst, tritt sie in die Partei Vanguardia Comunista ein. Sie glaubt an die verändernde Kraft der anti-imperialistischen Volksfront. Um der Vormundschaft der Eltern zu entkommen, heiratet sie mit nur 17 Jahren - ein Schritt mit weitreichenden Folgen, denn die Rechtsmündigkeit aufgrund der frühen Heirat macht die spätere Verhaftung der Minderjährigen juristisch erst möglich.

Es ist dann eine beiläufige Bemerkung über den Vietnamkrieg, die die 17-Jährige für drei Jahre hinter Gitter bringt und sie später ins Pariser Exil zwingt: Gladys sagt im Schulunterricht, dass in Vietnam die kleinste Armee der Erde die größte Armee besiegt habe, weil sie für Freiheit und für Ideale gekämpft hatte. Der Lehrerin missfällt diese Interpretation, sie meldet Gladys bei der Polizei. Wenige Tage später wird sie festgenommen und inhaftiert. Man wirft ihr vor, kommunistische und trotzkistische Literatur zu besitzen und zu verteilen.

Jede ist sich selbst am nächsten

Gladys kommt in Einzelhaft, dann in ein Frauengefängnis. Dort wird sie rasch politisch desillusioniert: Angesichts der Repression in der Haft sind sich viele der inhaftierten Genossinnen selbst am nächsten - es herrschen Denunziation, Ausgrenzung und eine hierarchische Ordnung unter den Frauen. Darunter leidet die junge Marxistin zunächst mehr als unter Isolation und Schikanen im Gefängnis.

Vergessen wer man ist

Mehrmals wird Gladys in andere Gefängnisse verlegt, ein stetiger Kontakt zu ihrer Familie ist nur schwer möglich, aber zumindest weiß sie, dass man draußen für ihre Freilassung kämpft. Im Gefängnis sind Hinrichtungen, Folter, sexueller Missbrauch und Erniedrigungen an der Tagesordnung, während draußen die Militärjunta die Macht übernimmt.

In der Zelle versucht Gladys dem Sinnlosen Sinn zu geben, indem sie zwanghaft die Schritte im Gefängnis-Innenhof zählt, die Gitterstäbe am Fenster, die Fliesen am Boden. Am meisten leidet sie unter der Einsamkeit, dem räumlichen Getrenntsein von ihrer Familie und dem emotionalen Getrenntsein von den Genossinnen im Gefängnis.

Entlassung ins Exil

Als die Weltöffentlichkeit anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 1978 nach Argentinien blickt, gibt sich das Videla-Regime nach außen hin demokratisch und freundlich. Ein Delegierter des Internationalen Roten Kreuzes besucht Gladys im Gefängnis und fragt sie nach den Haftbedingungen, doch sie kann nur weinen; sie kann keine Auskunft mehr geben darüber, wie schlecht es ihr und den anderen geht. Auf Druck von außen räumt man ihr schließlich das Recht ein, zwischen Gefängnis und Exil zu wählen. Gladys entscheidet sich für das Exil und wird am 8. Jänner 1978 nach Paris gebracht.

Es gelingt ihr auch in Frankreich nicht, wieder Fuß zu fassen. Irgendetwas war in den drei Jahren Gefängnis in ihr zerbrochen; sie wird viele Jahre brauchen, um diesen Umstand überhaupt benennen zu können.

Gladys Amborts Beschreibungen aus dem Gefängnis sind nüchtern und fast distanziert - und vielleicht gerade deshalb so eindringlich und bedrückend. Weil sie das Verdrängen von menschlichen Gefühlen angesichts von Folter, Terror und Todesangst widerspiegeln.

Service

Gladys Ambort, "Wenn die anderen verschwinden sind wir nichts", aus dem Französischen übersetzt von Christine Menghini, Laika Verlag

Laika Verlag - Wenn die anderen verschwinden sind wir nichts