Probleme in der Praxis erwartet
Umstrittenes Burkaverbot in Kraft
Mit rund fünf Millionen Menschen lebt in Frankreich die größte muslimische Gemeinde Europas. Und dort tritt nun das vor sechs Monaten vom Parlament verabschiedete Burkaverbot in Kraft. Die praktische Umsetzung des Gesetzes dürfte im Alltag so manches Problem bereiten.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 11.04.2011
Klar, wer gemeint ist
Wer im öffentlichen Raum, also auf der Straße, in Bussen und Zügen, in Ämtern oder Krankenhäusern, sein Gesicht verschleiert, kann sich in Frankreich ab heute Montag eine Geldstrafe von 150 Euro und einen Schnellkurs in Staatsbürgerkunde einhandeln - laut einem Gesetz, in dem nirgendwo von Frauen, von Ganzkörperschleier oder vom Islam die Rede ist. Und doch ist klar, auf wen es zielt. Wobei die Polizisten bei den künftigen Kontrollen nicht das Recht haben, des Ablegen des Schleiers durchzusetzen. Dafür muss die kontrollierte Passantin mit aufs Kommissariat kommen.
Debatte auf höchster Ebene
Mehr als zwei Jahre hat die sehr kontroverse Diskussion in Frankreich zu diesem Thema gedauert. Dabei hatte Staatspräsident Sarkozy persönlich mehrmals betont: "Wir können in unserem Land nicht akzeptieren, dass Frauen in unserem Land Gefangene sind hinter einem Gitter, das sie von jedem sozialen Leben ausschlie9t und ihnen jede Identität nimmt."
"Ein paar hundert Fälle"
Und doch sehen viele in Frankreich in diesem Gesetz nur eine weitere Stigmatisierung des Islam und fragen, ob ein 65-Millionen-Einwohner-Land wirklich nicht in der Lage ist, ein paar hundert Frauen mit Ganzkörperschleiern zu tolerieren. Selbst konservative Abgeordnete waren bis zum Schluss gegen ein Gesetz, wie der inzwischen zum Minister avancierte Georges Tron: "Ich bin fassungslos, dass man zum Thema Burka ein Gesetzgebungsverfahren in Gang bringt, das ein paar hundert Fälle betrifft."
Auch bei Muslimen umstritten
Andererseits hat aber selbst der Französische Rat der muslimischen Glaubensgemeinschaft erklärt, das Tragen des Ganzkörperschleiers sei eine extreme, allzu wörtliche Interpretation des Koran. Der Rektor der grossen Pariser Moschee, Daliel Boubakeur: "Vom religiösen Gesichtspunkt aus sind weder Burka noch Nikab, also die Ganzkörperschleier, eine Vorschrift.
Und auch Sihem Habchi, die Vorsitzende der Frauenrechtsorganisation in Frankreichs Vororten mit hohem muslimischen Bevölkerungsanteil "Ni putes, ni soumises", sagt ganz klar: "Ich bin der Meinung, man muss den Ganzkörperschleier verbieten und damit aufhören, unsere Freiheiten einzuschränken."
Gesetz zur Unzeit
Frankreichs Regierung hatte in den letzten Monaten vor der Anwendung ein Informationsprogramm zu diesem Gesetz aufgelegt und eine Webseite eingerichtet unter dem Motto: "Die Republik lebt mit unbedecktem Gesicht". Vor blauem Hintergrund thront Marianne, die weibliche Büste, welche die Republik verkörpert, mit freier Stirn und züchtigem Dekolleté, und soll verdeutlichen, dass es bei diesem Gesetz um Gleichberechtigung, Würde der Frau und die säkularen Werte der französischen Republik geht. Ein Gesetz, das allerdings in einem Moment zur Anwendung kommt, da in Frankreich ein islam- und ausländerfeindliches Klima herrscht wie schon seit langem nicht mehr.