Mischung aus Kunst und Politik

Brisanter polnischer Pavillon in Venedig

Die in Berlin lebende Yael Bartana, eine israelische Künstlerin mit polnischen Wurzeln, bespielt derzeit den polnischen Pavillon bei der Biennale von Venedig. Sie zeigt dort eine brisante Mischung aus Kunst und Politik.

Kulturjournal, 21.06.2011

Yael Bartana hat die "Jüdische Renaissance-Bewegung" gegründet und präsentiert diese in einer Filmtrilogie. Das Originelle dabei: Es handelt sich um eine fiktive Bewegung.

In diesen Filmen kritisiert sie sowohl den polnischen Antisemitismus als auch die israelische Siedlungspolitik.

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Biennale - Polnischer Pavillon

Fiktives Attentat

"Juden, wir vermissen Euch", steht auf einem Poster über der trauernden Menge. Ein Politiker hält sehr überzeugend eine Trauerrede nach dem fiktiven Attentat auf den Anführer der fiktiven "Jüdischen Renaissance-Bewegung" und bittet 3,3 Millionen polnische Juden, aus dem Holocaust zurückzukommen, um Polen zu erretten vor der Langeweile der Homogenität und der Stagnation.

Für die Künstlerin Yael Bartana geht es bei dieser Bewegung nicht darum, tatsächlich die 3,3 Millionen Juden zurückzuholen. Das ginge ohnehin nicht, da sie im Zweiten Weltkrieg getötet worden seien. Es ginge vielmehr darum, Themen der Heimat und der nationalen Identität aufzugreifen.

Betörende Ästhetik

Wenn Yael ihre Filme dreht, denkt sie über Fragen nach wie: Wo soll die Kamera stehen, damit die 200 Statisten nach einer viel größeren Menge aussehen? Oder darüber, von welchen Balkonen am Straßenrand Fahnen hängen sollen. Ihre Filme sind von betörender Ästhetik. Sie erinnern an Leni Riefenstahl, die mit ihren Propagandafilmen für die Nazis berühmt wurde. Obwohl Yael lacht und sagt, so gut wie Leni Riefenstahl sei sie leider nicht.

Aber fast: Der Himmel ist blau - immer. Die Jugendlichen haben glühende Augen, die sich manchmal mit Tränen füllen. Sie sind von schönem Wuchs, mit weißem Hemd, schönem Halstuch und schwarzer Armbinde mit polnischem Adler und Davidstern. Yael sagt, sie benütze diese starke Ästhetik, um etwas zu machen, das umfassender sei und irgendwie mehr "hippy".

Propagandistische Bildkomposition

So dokumentierte etwa ihr Film "Summer Camp" bei der documenta 12 ein - ebenfalls fiktives - Sommercamp, in dem Jugendliche und Studenten ein Haus für einen Palästinenser wiederaufbauten, das von den Israelis zerstört worden war. In wunderschönen Bildern steigert sich der Hausbau zur propagandistischen Bildkomposition.

Man versteht: Es ist kein reales Haus. Ein allegorisches Haus vielleicht? Bartana, die zwei Jahre lang in einer Werbeagentur gearbeitet hat, weiß, dass ihre Kunst verführerisch ist. Sie sehe natürlich, wie die Menschen in den polnischen Pavillon kommen und regelrecht an der Leinwand hängen. Nur der Inhalt sei ein ganz anderer als in den Riefenstahl-Filmen.

Geschichtsaufarbeitung

Die Künstlerin versucht mit diesen Arbeiten die polnisch-jüdische Geschichte aufzuarbeiten, die in Polen noch weitgehend verdrängt wird. Während die Polen insgesamt durch Krieg und Terror der Okkupanten im Zweiten Weltkrieg sieben Prozent der Bevölkerung verloren haben, waren es in der jüdischen Bevölkerung Polens 98 Prozent. So fragt etwa ein Wissenschaftler wie Felix Tych, der als Jude in Warschau überlebt hat, ob die Judenvernichtung und -vertreibung ohne die Duldung der polnischen Bevölkerung überhaupt möglich gewesen wäre. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg 1918/19 war es im ersten Jahr nach der Wiedergeburt Polens zu ca. 130 Progromen und antijüdischen Krawallen gekommen - darunter zu den blutigsten Judenprogromen der Zeit.

Mit ihren Filmen geht es Yael Bartana nicht darum, eindeutige Wahrheiten zu propagieren. Sie will einen Raum für Diskussion und Diskurs eröffnen.

Realität oder Fiktion?

Um einen geistigen Wandel der Menschen einzuleiten, scheut sie sich nicht, emotionale Hebel einzusetzen.

So liest sich auch das Manifest der "Jüdischen Renaissance-Bewegung" sehr poetisch:

Mit nur einer Religion können wir nicht hören.
Mit nur einer Farbe können wir nicht sehen.
Mit nur einer Kultur können wir nicht fühlen.
Ohne Euch können wir uns nicht einmal erinnern.
Schließt Euch uns an und Europa wird überwältigt sein!


Auf diese Weise konnte Yael Bartana für ihre Bewegung, die am Anfang nicht mehr als ein Haufen Statisten war, immer mehr Mitglieder gewinnen. 300 sollen es schon sein. Im Sommer 2012 wird dann in Berlin der allererste Kongress der Bewegung stattfinden. Dort können sich die Menschen dann treffen und diskutieren.

Oder wird auch dieser subversive Kongress wieder gefaked sein? So genau wird man vielleicht nie herausfinden, was dabei echt ist und was Fiktion.

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