Debatte über elektronische Handelssysteme
Börsenkurse: Übertreibt der Computer?
Experten glauben, dass die aktuellen Kursverluste auch durch die elektronischen Handelssysteme an den Börsen mitverursacht werden. Diese Systeme, die Trends an den Börsen erkennen und entsprechend darauf reagieren, können diese Entwicklungen nämlich auch verstärken und Verluste dadurch vergrößern.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 08.08.2011
Automatische Verkaufsaufträge
Handelssysteme sind Computersysteme, die den elektronischen Handel von Wertpapieren zu bestimmten Bedingungen durchführen, die vorher festgelegt worden sind. So können Marktteilnehmer das Handelssystem beispielsweise so programmieren, dass bestimmte Aktien automatisch verkauft werden, wenn der Aktienkurs unter ein definiertes Limit fällt. In die Handelssysteme fließen aber auch andere Wirtschaftsdaten ein, so kann zum Beispiel ein Fonds festlegen, dass Staatsanleihen hoch verschuldeter Staaten automatisch verkauft werden, wenn sich etwa die Wirtschaftsentwicklung in diesen Staaten abkühlt oder - wie im Fall der USA - die Kreditwürdigkeit des Staates von einer Ratingagentur abgestuft wird.
Verstärkte Reaktionen
Ein Börsenhandel ohne computerisierte Handelssysteme ist heutzutage de facto nicht mehr denkbar. In den USA etwa werden rund 70 Prozent des Handels mit automatisierten Systemen durchgeführt - dennoch wird jedes dieser Systeme von Menschen programmiert. Handelssysteme haben die Fähigkeit, Trends an den Börsen zu erkennen, und sie können diese Trends dann noch verstärken. Das heißt konkret: Wenn Investoren nervös werden, Aktien verkaufen und die Kurse fallen, erkennen das die Computersysteme und leiten angesichts der Kursverluste wieder neue Aktienverkäufe ein. Das kann dann eben die Kursverluste verstärken.
Mehr Transparenz
Der Vorstand der Wiener Börse, Heinrich Schaller, sagt, es könne sein, dass die momentanen Kursverluste durch die Computersysteme ausgeweitet werden, aber auch positive Kursausschläge könnten dadurch verstärkt werden. Bei Kursverlusten können die Handelssysteme die Entwicklung nach unten verstärken, bei Kursgewinnen können die Investoren aber auch höhere Gewinne verzeichnen, als das ohne Handelssysteme möglich wäre, so Schaller, außerdem würden die Handelssysteme Transparenz erzeugen. Man könne auch nicht sagen, dass durch Handelssysteme der Börsenhandel irrationaler wäre als von Menschenhand, weil das Geschehen an den Finanzmärkten generell wenig mit Vernunft zu tun habe, sondern von Erwartungen geprägt sei, so Schaller.
Frage der Kontrolle
Die System seien nicht zu verteufeln, aber sie gehörten auf jeden Fall kontrolliert, so Schaller. Und die Kontrolle habe sich seit der Finanzkrise verbessert, so Schaller, gerade in Europa. Das merke man daran, dass bestimmte als hochspekulativ geltende Handelsformen wie die sogenannten Leerverkäufe an vielen Handelsplätzen mittlerweile verboten sind. Trotzdem hört man im Gespräch mit Börsenhändlern immer wieder: Handelssysteme bringen zwar Erleichterung, beschleunigen und vereinfachen den Handel an den Börsen, aber obwohl die Systeme von Menschenhand programmiert werden, sind die Aktionen der Computer oft nicht völlig kontrollierbar.