Psychiater Hans-Otto Thomashoff im Ö1 Interview
"Für viele ist es ein Spiel"
Handelt es sich bei den Aufständen in Großbritannien um eine bloße Entladung krimineller Energie oder steckt ein politischer Protest dahinter? Der Psychologe und Aggressionsforscher Hans-Otto Thomashoff glaubt an eine Mischung aus beidem. Die Situation in London sei aber nicht auf Österreich übertragbar.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 10.8.2011
Martin Haidinger
"Jugendliche in aussichtsloser Situation"
In vielen westlichen Ländern gebe es ein zunehmendes Potential an Jugendgewalt, sagt Aggressionsforscher Thomashoff. Das sei vor allem darauf zurückzuführen, dass sich Jugendliche immer öfter in einer aussichtslosen Situation wiederfinden. "Sie bekommen eine Ausbildung, die oft nicht wirklich gut ist, und haben dann keine berufliche Perspektive", so Thomashoff.
England: Große Schere zwischen Arm und Reich
Grundsätzlich brauche jeder Mensch zwei Dinge, um sich psychisch wohl zu fühlen, so der Psychiater: Menschliche Beziehungen einerseits und das Gefühl, etwas bewirken können, andererseits. Letzteres würde den revoltierenden Londoner Jugendlichen fehlen. Dazu komme die fehlende wirtschaftliche Absicherung. "In England ist die Spaltung der Gesellschaft in 'sehr reich' und 'sehr arm' stärker ausgeprägt als bei uns in Österreich", sagt Thomashoff.
"Schlägereien an der Tagesordnung"
Zudem sei das Gewaltpotential in London höher. Er selbst habe bei Besuchen beobachten können, dass in bestimmten Stadtvierteln Schlägereien an der Tagesordnung stehen. Für die Jugendlichen seien die derzeitigen Ausschreitungen eine Art Spiel, das sie sonst nur aus dem Fernsehen oder aus Videospielen kennen. Für viele sei es spannend, das, was sie nur virtuell kenne, in die Realität umzusetzen, analysiert Thomashoff.
Spaß am Stehlen
Zudem würden sich die Jugendlichen mit den Plünderungen das nehmen, was ihnen aufgrund ihrer schlechten finanziellen Lage bisher verwehrt geblieben sei, erklärt der Psychiater die Überfälle auf Computer- und Elektromärkte. "Es geht darum: ich hole mir das jetzt und habe sogar noch Spaß dabei".
"Keine Ghettoisierung in Österreich"
Dass solche Proteste auch in Österreich stattfinden könnten, glaubt Thomashoff nicht. Erstens sei die Spaltung der Gesellschaft in England besonders stark ausgeprägt. Und zweitens gäbe es hierzulande keine Stadteile, in denen eine solche Ghettoisierung stattgefunden habe, wie das in vielen Städten Großbritanniens der Fall ist. Vor allem Maßnahmen wie der Soziale Wohnbau hätten das bisher verhinder, sagt Thomashoff.