Kritik an veralteter Technologie und Expertenmangel
Trotz Fukushima: China setzt auf Atomkraft
Nach dem Atomdesaster in Fukushima wurden beim mächtigen Nachbarn China die Atomkraftwerke überprüft und offenbar keine Probleme gefunden. Denn nach einem kurzen Baustopp wird jetzt weiter an neuen Kraftwerken gebaut. Doch laut Diplomaten-Einschätzungen soll das chinesische Atomprogramm hohe Risiken bergen.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 10.9.2011
Jörg Winter aus Peking
Chinas Reaktoren "einhundert mal gefährlicher"
Für Aufsehen sorgt derzeit ein von der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichtes Dokument aus der US-Botschaft in Peking. Darin warnen amerikanische Diplomaten vor den angeblich hohen Risiken des chinesischen Atomprogramms.
Dass China auf billige und veraltete Technologie setzt, erhöhe das Risiko eines nuklearen Unfalls deutlich, heißt es in den aufgetauchten Depeschen. Im Vergleich zu moderner Reaktortechnologie sei das in China gängiste Reaktordesign einhundert Mal gefährlicher, heißt es wörtlich. Wie man zu genau dieser Zahl kommt, wird jedoch nicht erwähnt.
Kritik an überhastetem Atomausbau
Gut möglich, dass die Diplomaten das Risiko bewusst ein wenig übertrieben haben, um eigene Atomfirmen aus den USA in China wieder ins Rennen zu bringen. Doch die schiere Geschwindigkeit, mit der China sein Atomprogramm jetzt vorantreibt, sorgt auch im Land selbst für Kritik.
Der bekannte Physiker und einer der Väter des chinesischen Atombombenprogramms, He Zuoxiu, hat jüngst mit einem Vergleich aufhorchen lassen. Die ehrgeizigen Ausbaupläne des zivilen Atomprogramms seien mit dem Versuch Mao Zedongs Ende der 50 Jahre vergleichbar, als dieser Chinas industrielle Entwicklung nach vorne katapultieren wollte. Der Versuch endete jedoch in einem nationalen Desaster.
"Veraltete Technologie, kaum Atomexperten"
13 Atomkraftwerke sind in China in Betrieb, 50 in Planung, 27 in Bau. Jeder zweite aller weltweit im Bau befindlichen Atommeiler befinden sich demnach in China. Neben der veralteten Technologie ist es vor allem der Mangel an Fachkräfte, der ein hohes Risiko darstellt, sagt Jan Beranek, Atomexperte der Umweltschutzorganisation Greenpeace.
"Die Verantwortlichen für die Atomsicherheit in China verfügen nur über eine begrenzte Anzahl von Experten. Es ist deshalb nur schwer vorstellbar, wie man mit so wenig Spezialisten den gleichzeitigen Bau von 27 Atomkraftwerken effizient überwachen will", so Beranek. Er bezweifle auch, dass China derzeit genügend geschulte Techniker hat, um alle Atomkraftwerke nach dem letzten technischen Wissensstand betreiben zu können, sagt der Atomexperte.
China: CO2-Einsparungen durch Atomkraft
Chinas Führung weist solche Vorwürfe zurück. Erstens sei das eigene Reaktordesign nicht veraltet und man verfüge auch über genügend Atomspezialisten. Vorwürfe, dass in China oft zu schnell und zu schlampig gebaut werde, und dass dies bei Atomanlagen dramatische Konsequenzen haben könnte, werden bestritten.
Immer wieder betonen Chinas Führer auch, dass mit dem Ausbau der Kernkraft die Abhängigkeit von Kohle und Erdöl verringert, und damit auch der Ausstoß von CO2 reduziert werden soll. Chinas Energiehunger wird in den kommenden Jahren jedenfalls noch drastisch steigen. Und selbst wenn die Mächtigen in Peking das nationale Atomprogramm im geplantem Ausmaß durchziehen, wird der Anteil der Kernkraft im Jahr 2020 doch nur gerade einmal fünf Prozent zum nationalen Energieverbrauch beitragen.