Ungewöhnlich deutliche Kritik
Atomphysiker warnt vor AKW-Ausbau
Nach der Atomkatastrophe in Japan wächst jetzt in China die Kritik an den ehrgeizigen Atomplänen der Regierung. Der bekannteste Atomphysiker des Landes hat jetzt wörtlich vor einem nuklearen Desaster in China gewarnt und ungewöhnlich offen Zweifel an der Sicherheit chinesischer Atomkraftwerke geäußert.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 03.06.2011
Prominente Kritik
Zwar haben Pekings Führer als Reaktion auf den Unfall in Fukushima ein Moratorium für die Genehmigung neuer Atomkraftwerke ausgerufen, doch an den gigantischen Ausbauplänen der Kernkraft wird in China festgehalten. Nun gibt es aber prominente Kritik - vom bekannteste Atomphysiker Chinas. Und wenn He Zuoxiu spricht, dann hören Chinas Mächtige zu. Professor He gilt als einer der Väter des chinesischen Atombombenprogramms. Trotz seiner 84 Jahre gehört He Zuoxiu noch immer zu den führenden Nuklearphysikern des Landes.
Warnung vor Desaster
Noch nie zuvor hat ein so berühmter Wissenschaftler in China so deutlich Kritik geübt an den chinesischen Atomplänen. Und schon gar nicht auf diese Art und Weise. Der Professor vergleicht Chinas Atomprogramm nämlich wörtlich mit dem "Großen Sprung nach Vorn", einem der dunkelsten Kapitel moderner chinesischer Geschichte. Das überhastete Industrialisierungsprogramm unter Mao Tse-Tung Ende der 50er Jahre endete mit einem wirtschaftlichen Desaster und letztlich mit dem Tod von Millionen. Ein ähnliches Desaster könnte auch an der Atomfront passieren, sagt Professor He.
Unsinnige Strategie
Schließlich seien die Notfallpläne in Chinas Atomkraftwerken völlig ungenügend und niemand wisse, in wieweit die Atommeiler Erdbeben und ähnlichen Naturkatastrophen überhaupt standhalten könnten. Auch wirtschaftlich mache das Programm aufgrund zu geringer Uranvorkommen in China nur wenig Sinn. 13 Reaktoren sind landesweit derzeit in Betrieb, 28 in Bau und Dutzende in Planung. Fast die Hälfte alle Projekte zur zivilen Nutzung der Kernkraft weltweit befinden sich in China.
Angebot an deutsche Experten
Zwar hatten die politischen Führer des Landes nach der Katastrophe in Fukushima Projekte in der Planungsphase zunächst auf Eis gelegt. Doch vieles deutet darauf hin, dass dieses Moratorium schon im Sommer wieder aufgehoben wird. Dass man jetzt Atomexperten aus dem Westen, konkret aus Deutschland, die dort vielleicht schon bald nicht mehr gebraucht werden, nach China locken will, zeigt, wie Ernst den Chinesen der rasante Ausbau der Kernenergie ist.
Enormer Energiehunger
Zwar liegen auch in China einige Meiler in der Nähe der Küste oder in tektonischen Störzonen. Ein Zusammentreffen von Erdbeben und Tsunami wie in Japan sei aber ausgeschlossen, sagen Experten des chinesischen Atomverbands. Und sie argumentieren stets mit dem enormen Energiehunger Chinas. So habe sich der Energiebedarf seit Beginn der wirtschaftlichen Öffnungspolitik vor 30 Jahren versechsfacht. Erst jüngst haben die Behörden wieder größere Stromausfälle für die heißen Sommermonate angekündigt. Und auch wenn die Atomkatastrophe in Japan auch in vielen chinesischen Supermärkten Panikkäufe ausgelöst hat - eine echte öffentliche Debatte über die Sicherheit der eigenen Kernkraftwerke ist trotzdem kaum auszumachen. Und so wurden auch die scharfen Worte von Chinas großem Atomphysiker vor allem in der freien Hong Konger Presse verbreitet. Den staatlichen chinesischen Medien waren sie höchstens eine Randnotiz wert.