Reportage aus Ramallah

Zwischen Aufbruch und Skepsis

Präsident Mahmud Abbas will einen Antrag einbringen, wonach Palästina als eigener Staat anerkannt werden soll. Vor allem aber die USA als engster Verbündeter Israels werden den Plan der Palästinenser wohl zu Fall bringen. Die Menschen in den Palästinenser-Gebieten schwanken zwischen Aufbruchsstimmung und großer Skepsis.

Morgenjournal, 19.09.2011

Glaube an Abbas

Bei der UNO in New York wird diese Woche hohe Nahostpolitik gemacht werden, im Palästinensergebiet sind die Begleitkampagnen angelaufen, in Ramallah spürt man Aufbruchsstimmung, aber gedämpft. Auf einer Baustelle im Viertel Batnil Hawa entsteht ein großes Wohngebäude. "Natürlich habe ich das Gefühl, dass ich Palästina mit aufbaue", sagt Muntassar Hassan, der Vorarbeiter, "ich bin kein Politiker, aber ich glaube stark an Präsident Abbas, er bemüht sich um einen palästinensischen Staat."

Arbeiten am Staatsgebäude

Gebaut wird jetzt überhaupt viel in Ramallah, man sieht schicke Läden und Bürotürme. Fast fertig ist der "Palestine Tower", an seiner Spitze wird das erste rotierende Restaurant Palästinas eröffnet werden. Dass die Wirtschaft des Westjordanlands in den letzten Jahren stetig gewachsen ist, dass die Verwaltung funktioniert und die Polizei für Ordnung sorgt – das wird der stillen Arbeit des Premierministers Salem Fayad zugeschrieben, der systematisch die Institutionen des erhofften Staates aufgebaut hat: "Was wir brauchen und verlangen müssen", sagt Fayad, "ist ein richtiger Staat, der unseren Söhnen und Töchtern ein Leben als freies Volk ermöglicht, ein Leben in Würde, unter der Herrschaft des Gesetzes. Was wir erwarten, ist eine aktive Anstrengung der internationalen Gemeinschaft, um uns zu helfen, das zu erreichen."

Symbolhafte Zahl 194

Auf vielen Autos flattern Wimpel mit der Aufschrift "Palästina, Staat 194". Die Zahl 194 ist jetzt in Ramallah allgegenwärtig, man begegnet ihr auf Flugblättern und Postern, in Gesprächen und skandierten Parolen. Gemeint ist damit, dass Palästina der 194. Mitgliedsstaat der UNO werden soll. 194 ist zudem auch die Nummer einer UN-Resolution aus dem Jahr 1948, aus der die Palästinenser das Rückkehrrecht ihrer Flüchtlinge ableiten. Natürlich dominiert 194 auch auf den Plakaten, mit denen einige Hundert Demonstranten zum Kalandia-Checkpoint ziehen, der Ramallah von Jerusalem trennt. Rund 40 israelische Soldaten versperren ihnen hier den Weg, man steht einander hautnah gegenüber. Es ist wie ein Probelauf für die großen Aufmärsche, die man für die nächsten Wochen erwartet, wenn in der UNO über Palästina debattiert und vielleicht abgestimmt werden wird.

"Wenigstens ein Signal"

Bissan Abu-Rokzir, die in einer Frauenorganisation aktiv ist, weiß, dass allein durch ein UNO-Votum noch kein richtiger Staat entstehen kann: "Um ehrlich zu sein, es gibt keine hohen Erwartungen. Wir wissen, dass der Tag danach nicht anders sein wird als heute, aber es ist wenigstens ein Signal dafür, dass wir Palästinenser beginnen, die politische Initiative zu ergreifen … Wir warten nicht nur auf Verhandlungen und Ergebnisse von Verhandlungen, und es ist gut, die Menschen auf den Straßen zu haben." Amal Hreische aus Ramallah wird deutlicher: "Der UNO-Vorstoß ist eine neue Strategie", sagt sie, "das soll Israel isolieren, denn wir haben viele Freunde in der Welt."

"Abbas wird nichts bekommen"

Aber drinnen in der Stadt ist der Schmuckhändler Mohammed Abu Sakr skeptisch: "Es ist ja nett, nach New York zu gehen, aber Abbas wird von der UNO gar nichts bekommen. Das wird den Palästinensern eine Menge Probleme machen, eine dritte Intifada. Ich glaube an keinen Frieden, an keinen Staat, ich glaube gar nichts, das sind alles Lügen." Ob es nun bloß ein diplomatischer Kampf wird oder doch wieder ein Kampf im Gelände, von Harmonie kann jedenfalls keine Rede sein.

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