Im Rahmen der Vienna Design Week

Kunst und Design aus Polen

Den Schnittstellen von Kunst und Design haben sich in letzter Zeit einige Ausstellungen gewidmet, und auch bei der diesjährigen Vienna Design Week wird die Nahbeziehung von Design zu Kunst behandelt: in der Ausstellung "Totem and taboo", die im Freiraum des quartier21 im MuseumsQuartier läuft.

Ein Schwerpunkt der Vienna Design Week liegt auf Polen, und dort ist die Situation eine spezielle: jung, gut ausgebildete Designer von Kunsthochschulen suchen die Zusammenarbeit mit Produzenten, werden aber - als Künstler - zu wenig ernst genommen. Dabei hätten sie nicht nur gute Ideen, sondern auch internationale Erfahrung einzubringen.

Kulturjournal, 06.10.2011

Es ist eine interessante Ausgangslage für junge Designer: In Polen befinden sich zahlreiche Möbelfabriken - das Land liegt bei den Möbelexporten weltweit an vierter Stelle. Es gibt aber auch kleine spezialisierte Handwerksbetriebe, die sich auf die Verarbeitung lokaler Materialien verstehen. Mit über 38 Millionen Einwohnern ist - potenziell - ein großer Absatzmarkt vorhanden. Dennoch: Ambitionierte Designer streben ins Ausland, denn viele Aufträge sind in Polen nicht zu erwarten.

In Krakau, an der Kunstakademie, unterrichtet Czeslawa Frejlich Industriedesign. "Design ist ein Randthema in Polen", meint sie, "das Interesse ist sehr gering. Ein Grund dafür ist sicher, dass gute Qualität nicht billig ist, und die Menschen haben kein Geld. Dennoch: langsam kommt was in Bewegung."

Czeslawa Frejlich ist Chefredakteurin des Magazins "2+3D", des bedeutendsten Design-Magazins in Polen. Wer es hier rein geschafft hat, dem ist - zumindest unter Design-interessierten - einige Aufmerksamkeit sicher.

Freche Entwürfe von Baba Akcja

Der große Wurf gelang der Gruppe Baba Akcija gleich mit dem ersten gemeinsamen Projekt. Bei einer Messe verkauften sie unterschiedlich gestaltete und adrett verpackte CDs, die Computerviren enthielten - ein Witz über Begehren und Gefahr. Das beliebteste Modell war eine CD in Form einer altmodischen Floppy-Disk. Diese ist in Produktion gegangen - allerdings ohne Virus.

Zofia Konarska und Monika Ostaszewska haben gemeinsam studiert und 2005 die Gruppe Baba Akcja gegründet. Ihre Entwürfe sind sicher nicht, worauf die Welt schon lange gewartet hat, aber es sind nette, freche Ideen: eine Sandform in Form einer Brust oder eine Stehlampe, die mit Ohrringen behängt werden kann.

Die Mitglieder von Baba Akcja arbeiten hauptberuflich in anderen Design-Büros - vielleicht, so meint Zofia Konarska, können sie sich deshalb den Humor erlauben.

Möbelentwürfe von Love Kompott

Nicht die Realität kommentieren, sondern konkrete Lösung ausdenken, das ist der Ansatz der vierköpfigen Designgruppe Love Kompott aus Warschau. Wie viele Designer der jungen Generation studierten sie im Ausland, in diesem Fall in London, nahmen an internationalen Messen und Ausstellungen bei, und versuchen nun in Polen das Büro zu etablieren - unter Beibehaltung der internationalen Kontakte, versteht sich. Möbelentwürfe für Kinder sind ebenso in ihrem Portfolio, wie subtile, aber effiziente Eingriffe in die Stadtmöblierung.

Krystian Kowalski von Love Kompott gibt ein Beispiel: "In Warschau fiel uns auf, dass es noch kaum Infrastruktur fürs Radfahren gibt. Aber es stehen viele Pfosten herum, die Autos den Weg versperren sollen. Wir haben den nutzlosen Pfosten auf ganz einfache Weise zu einem Fahrradständer umgebaut, indem wir ein Loch durchgebohrt haben. Durch das Loch passt ein Radschloss und so kann man das Rad anketten."

Maja Gaszyniec von Love Kompott empfindet die Situation in Polen als Aufbruchsstimmung: Viele junge Talente lassen sich hier nieder. Was bisher noch fehlt, ist der professionelle Kontakt zu den Produzenten. Diese investieren lieber in Kopien, statt Neuentwürfe zu beauftragen, so Maja Gaszyniec, sie scheuen das Risiko und unterfordern den Konsumenten.

Gebrauchskunst

Iwona Kargol Debicka ist Soziologin und Kuratorin. In Krakau organisiert sie das Design Attack Festival, das eine Schnittstelle zwischen der internationalen Design-Szene und Polen darstellt. Produzenten und Entwerfer zusammenzubringen ist ihr ein Anliegen: "Sie betrachten Designer als Künstler - und das ist ein Missverständnis. Die Produzenten glauben, dass Designer alles kompliziert machen und Sachen neu erfinden, die es schon lange gibt. Es ist eine paradoxe Situation, denn es gibt Firmen, denen die Ideen fehlen. Sie haben Maschinen und Kapital, wissen aber nichts damit anzufangen."

Ein besseres Verständnis dafür, was Designer überhaupt machen und leisten können, seitens der Konsumenten und der Produzenten, wünscht sich auch die Designerin Zofia Strumillo. Gemeinsam mit Anna Loskiewicz betreibt sie das Büro Beza-Projekt in Warschau.

Designer gelten als schöngeistige Künstler, die luftige Ideen haben und sich nicht für das echte Leben interessieren, so Zofia Strumillo. Dabei betrachtet sie es als Aufgabe der Designer, genau diese beiden Sphären zu überbrücken: die Kunst und die Realität.

Eine Firma, die vorzeigt, dass gutes Design leistbar ist, sei der schwedische Konzern IKEA. Es gibt zwar nur wenige Filialen in Polen, aber IKEA lässt hier einen großen Teil des Sortiments herstellen. Auch werden lokale Designer einbezogen. Beza Projekt haben für IKEA Geschirr entworfen.

"Es ist interessant, die inneren Strukturen einer so großen Firma kennenzulernen", sagt Strumillo. "Bei IKEA als Designer angestellt zu sein ist ein sicherer Job, den man bis ans Ende seiner Tage machen kann, aber für mich wäre das nichts. Es gibt zu viele Einschränkungen. Eine gute Erfahrung war die Zusammenarbeit mit IKEA dennoch."

Retro-Charme angesagt

Kann die Design-Expertin Iwona Kargol Debicka aktuelle Tendenzen ausmachen, wohin sich polnisches Design bewegt? Ja, antwortet sie, in Richtung Vergangenheit. Die 1970er Jahre seien gerade besonders populär - sowohl bei jungen Grafikern, als auch bei Möbelproduzenten.

Sentimentalität im Design, oder auch Ostalgie: Das Phänomen ist in polnischen Design-Geschäften zu beobachten. Es werden 1.-Mai-Plakate angeboten, Kinderspielzeug aus der Zeit und reproduziertes Restaurant-Geschirr. Während Menschen, die im Sozialismus gelebt haben, diese Produkte als hässlich ablehnen, kann die jüngere Generation der 70er-Ästhetik einen Retro-Charme abgewinnen.

Viel Potenzial

Jahrzehntealtes Produktdesign mag im Trend liegen, doch die Zukunft sieht die Designerin Maja Gascyniez in den Händen der jungen Generation. Es gilt vierzig Jahre aufzuholen, sagt Maja Gascyniez, und das sei das Potenzial der jungen Szene; in Polen gibt es viel zu tun. Die Produzenten und die Konsumenten werden folgen.

Polen ist ein Schwerpunkt der diesjährigen Vienna Design Week, die noch bis 9. Oktober läuft. Im Stilwerk ist etwa das Warschauer Studio Rygalik mit einem Workshop zu Gast, und die beiden Designerinnen von Beza Projekt haben bei einem "Tapessier" in Wien-Leopoldstadt Schaukeln installiert.

Textfassung: Ruth Halle