Christian Keuschnigg im Ö1 Interview
Streitbarer Ökonom als IHS-Direktor
Der Finanzexperte Christian Keuschnigg soll neuer Direktor des Instituts für Höhere Studien werden. Der langjährige IHS-Chef Bernhard Felderer geht mit Jahresende in Pension. Keuschnigg genießt hat sich einen Ruf durch seine Arbeiten im Bereich Steuerrecht erworben. Er könnte aber auch politisch für Zündstoff sorgen.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 4.11.2011
Barbara Krommer im Interview mit Christian Keuschnigg
"Verantwortungsloses Verhalten"
Keuschnigg gilt als Ökonom, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt und offen auf Missstände in Staatshaushalten und Finanzsystemen hinweist. In der Vergangenheit übte er etwa Kritik an unwirksamen Konjunkturpaketen und dem überbordendem Sozialstaat in Österreich. Und auch zur aktuellen Euro-Schuldenkrise meldet sich Keuschnigg in Ö1 zu Wort.
Der Grund für die derzeitige Krise sei das "verantwortungslose Finanzierungsverhalten der Mitgliedsländer". Es gelte, den Staaten "starke Anreize und Schranken" zu setzen, um sie so zur Finanzdisziplin zu zwingen.
Überwachung und Regulierung
Die grundsätzlichen EU-Gipfelbeschlüsse würden zwar in die richtige Richtung gehen, man bräuchte aber eine stärkere Überwachung der Finanzpolitik jener Länder, die in einem schwachen finanzpolitischen Zustand seien – auch um den Preis einer eingeschränkter Souveränität und Eigenständigkeit dieser Länder.
"EZB muss Garantien aussprechen"
Denn derzeit bestehe vor allem die Gefahr, dass die Situation in Griechenland auf Länder wie Italien oder Spanien überschwappen könne, da Anleger würden fürchten, ihr Geld nicht mehr zurückzubekommen. Die Europäische Zentralbank (EZB) müsse daher garantierten, eine systemische Krise nicht zuzulassen und Staatsschuldenpapiere zur Not aufzukaufen.
Das Problem liegt laut Keuschnigg darin, dass die EZB die einzige Institution sei, die so eine Garantie aussprechen könne. Denn der Europäische Stabilisierungsfonds EFSF habe unter Umständen nicht genügend Mittel zur Verfügung, um solch eine Refinanzierung zu bewältigen. "Wenn mehrere Länder gleichzeitig in die Krise geraten, dann muss die EZB einschreiten", so der Finanzexperte.
"Schuldenbremse für Österreich"
Doch auch Österreich habe ein Problem mit seiner Staatsverschuldung – nicht nur seine südlichen Nachbarstaaten. Als einer "interessante Idee" bezeichnet Keuschnigg die Einführung einer Schuldenbremse, wie sie schon in der Schweiz erfolgreich angewendet werde.
Und das funktioniert so: "Die Schuldenbremse zwingt Politiker dazu, die Staatsschuld immer wieder auf ein erträgliches Niveau zurückzuführen, erlaubt aber gleichzeitig Flexibilität. In einer schwierigen wirtschaftlichen Lage kann der Staat durchaus notwendige größere Ausgaben machen."
Sollte sich die Wirtschaft aber wieder erholen, würde ein Automatismus einsetzen, der garantiere, dass im Parlament die notwendigen Schlüsse fallen, um die Staatsschuld wieder auf die Zielgröße zurückzubringen.
Christian Keuschnigg im Portrait
Mittagsjournal, 4.11.2011
Ellen Lemberger
Das Kuratorium des Instituts für Höhere Studien hat sich einstimmig für Christian Keuschnigg als neuen Chef des Instituts ausgesprochen. Der 52-jährige Tiroler ist derzeit Professor für Nationalökonomie mit Schwerpunkt Finanzwissenschaft an der Universität in St. Gallen in der Schweiz. Diese Tätigkeit will er auch künftig nicht aufgeben. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem Besteuerung, Investitionen, Finanzierung und Wohlfahrtssysteme.
"Einkommensplus dank EU"
In den 1990er Jahren arbeitete Keuschnigg selbst als Ökonom am IHS. 1996 hat er berechnet, wie sich der EU-Beitritt auf das Realeinkommen der Österreicher auswirkt. Das Ergebnis war ein Plus von 603 Euro pro Haushalt und Jahr.
2003 erregte er mit seiner Forderung nach einer radikalen Unternehmenssteuerreform für die Schweiz internationales Aufsehen. In Österreich kritisierte er die staatlichen Konjunkturpakete während der Finanzkrise 2009 als relativ unwirksam.
Kritik an überbordendem Sozialstaat
In seinem Buch "Reform des Wohlfahrtsstaates Österreich" schreibt er, dass der Sozialstaat in seiner heutigen Form langfristig wohl nicht haltbar sei.
Noch-IHS-Chef Bernhard Felderer, der Ende des Jahres nach 20 Berufsjahren an der Spitze des Institutes in Pension geht, streut seinem designierten Nachfolger Rosen. Keuschnigg sei ein stark theoretischer Forscher, der in allgemeinen Sätzen formulieren könne, so Felderer.