Experte für "Solidarität" und Reformen

Keine Pleite, aber auch keine Entwarnung

Italien ist plötzlich zum Sorgenkind Nummer Eins an den Finanzmärkten geworden und muss für Anleihen ähnlich hohe Zinsen zahlen wie Griechenland und Portugal. Experten versichern zwar, dass Italien keineswegs die Pleite drohe. Eine völlige Entwarnung gibt es aber nicht.

Mittagsjournal, 10.11.2011

"Das Land kann alles bezahlen"

Italien steht das Wasser noch nicht bis zum Hals, eine Pleite drohe nicht, sagt Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria, einer Tochtergesellschaft der italienischen UniCredit-Gruppe: "Nein, in keinster Weise, ganz im Gegenteil", versichert er im Ö1 Mittagsjournal, "weil Italien heute schon mehr einnimmt als es ausgibt." Italien könne alles bezahlen, auch seine Beamten. "Das ist ein dramatischer Unterschied zu Griechenland." Italien habe zwar hohe Gesamtschulden, aber wenn man von den Zinszahlungen für die Schulden absehe, sei die Haushaltskasse in Ordnung. Auch die Banken seien stabil und Einnahmen aus der Wirtschaft sprudeln immer noch genug Geld in die Staatskassen, sagt Bruckbauer.

"Kein ökonomischer Schock"

Aber Italien muss, wie alle anderen Länder auch, Staatsanleihen die auslaufen, durch neue ersetzen. Und dafür finden sich momentan wenige Investoren, und wenn, dann verlangen sie hohe Zinsen. Und viele Investoren, die italienische Staatsanleihen hätten, verkauften diese jetzt aus Panik, sagt Bruckbauer, auch deshalb stiegen die Zinsen. Diese Bedrohung sei aber noch theoretisch, weil Italien nicht so schnell viel frisches Geld aufnehmen muss. "Das ist als kein ökonomischer Schock für Italien, der sofort eintritt, sondern nur mittelfristig eine Belastung. Daher ist ein den nächsten Wochen von den Zinsen her kein negativer Effekt auf die Wirtschaft Italiens zu erwarten."

"Theoretische Solidarität" nötig

Außerdem merkt Bruckbauer an, "dass Italien seit 21 Jahren in etwa so einen Schuldenstand hat wie heute - und das Land hat das gemanagt." Im Gegensatz zu früher sei jetzt eben die Unsicherheit über den Euroraum so groß. Diese Unsicherheit an den Finanzmärkten könne Italien dennoch in Bedrängnis bringen, auch wenn Italien wirtschaftlich nicht so schlecht dasteht, sagt Bruckbauer. Italien müsse daher nicht direkt unter den Rettungsschirm gehen, brauche aber eine "theoretische Solidarität" der starken Länder in der Eurozone und vorübergehende Unterstützung durch die Europäische Zentralbank. Unter "theoretischer Solidarität" versteht Bruckbauer, dass hochrangige Politiker in Europa Italien nicht durch Aussagen schaden, wie etwa dass die Eurozone auch ohne Italien überleben würde. Bruckbauer: "Das wäre eine Katastrophe für uns alle und den Euro, nicht nur für Italien."

Dringende Reformen

Die EZB soll helfen, indem sie weiter italienische Staatsanleihen kauft und der Euro-Rettungsschirm soll weiter gestärkt werden. Das würde an den Finanzmärkten Sicherheit schaffen, sagt Bruckbauer. Und dann sei natürlich Italien an der Reihe, dringend notwendige Reformen schnell umzusetzen, sagt Bruckbauer. Vor allem zu hohe Löhne und zu viel Bürokratie seien ein Problem für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes, und das Pensionssystem sei zu teuer. Das seien die größten Baustellen für die nächste Regierung. Die Weichen dafür müssten in den nächsten Wochen gestellt werden. Italien werde die notwendigen Reformen schon am Wochenende absegnen, glaubt Bruckbauer. Er sagt, Italien könne das Ruder noch herumreißen, aber nur mit Hilfe der EU-Politiker und der Europäischen Zentralbank.