Gespräch über die Welt nach Fukushima
Unsere Zukunft
"Fukushima hat vieles verändert." Diese Überzeugung Ranga Yogeshwars ist nun nachzulesen in dem Buch mit dem Titel "Unsere Zukunft. Ein Gespräch über die Welt nach Fukushima", basierend auf Unterhaltungen, die der 52-jährige Journalist mit dem 21 Jahre älteren Klaus Töpfer im Sommer dieses Jahres führte, wenige Monate nach der Katastrophe in Japan.
8. April 2017, 21:58
Am 11. März 2011 kam es nach einem starken Erdbeben zu schweren Störfällen im japanischen Kernkraftwerk Fukushima. Der Ausfall der Stromversorgung und die Zerstörung der Meerwasserpumpen durch einen Tsunami führten dazu, dass die Kühlung streikte und Wärme nicht mehr ins Meer abgeführt werden konnte. Es kam zu Kernschmelzen in mehreren Kraftwerksblöcken, radioaktives Material entwich und verseuchte Luft, Boden und Wasser, mehr als 100.000 Menschen mussten die Region verlassen.
Die japanische Atomaufsichtsbehörde wies dem Unglück die Höchststufe zu: Fukushima war ein "katastrophaler Unfall". Die Medien berichteten ausführlich und nicht selten auch sensationslüstern über die Zustände vor Ort, über Evakuierung und nachlässiges Krisenmanagement, die Politik überdachte ihre Energiekonzepte. In Deutschland wurde eine Sicherheitsprüfung aller Kernkraftwerke und schließlich der Ausstieg aus der Atomkraft bis 2022 beschlossen.
Auslaufmodell Kernenergie
"Fukushima hat vieles verändert", sagt der Physiker und Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, der selbst über das Desaster in Japan berichtete, in einem Gespräch mit Klaus Töpfer, CDU-Politiker und ehemaliger Umweltminister, und meint damit nicht nur unsere Einstellung zur Atomenergie.
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Ranga Yogeshwar: Kernenergie ist in gewisser Weise ein Auslaufmodell. Wenn Sie sich heute weltweit die Kernkraftwerke anschauen, die natürlich zum Teil in die Jahre kommen, dann müssten sie, einfach um den Status quo zu halten, im Moment einen Bauboom haben im Vergleich zu dem, was in den 70er Jahren passiert ist. Das ist nicht der Fall. Sie haben Ansätze wie in Finnland, wo man ein neues Kernkraftwerk gebaut hat und die bittere Lektion mitgenommen hat, dass alleine die Kosten auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten die Rentabilität dieser Chose in Frage stellen.
Verändertes Nachdenken
Das Buch/Gespräch ist ein Gedankenaustausch, nicht nur über Kosten und Risiken der Kernkraft, sondern auch über die Energiewende, das Wachstumsdogma, kollabierende Finanzmärkte und die Notwendigkeit eines Bewusstseinswandels und neuer Werte für die Zukunft.
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Klaus Töpfer: Eins steht sicher fest: Fukushima hat das Nachdenken vieler Menschen über die Konsequenzen von Großtechnologien verändert, es hat verändert die Herausforderung darüber nachzudenken, dass wir in einer Welt leben, in der wir immer langfristigere Konsequenzen eigenen Handelns haben und gleichzeitig eine drastische Veränderung zu kurzfristigen Entscheidungen haben. Wir leben unter dem Diktat der Kurzfristigkeit - und haben gleichzeitig diese langfristigen Konsequenzen. Das passt nicht mehr zusammen. Ich glaube, das hat den einen oder anderen doch sehr nachdenklich gemacht - bis in die Politik hinein, bis in die Frage, welche Techniken sollten wir so schnell wie möglich nicht mehr nutzen.
Yogeshwar: Was die große Chance ist heute, dass wir nicht, wie oft behauptet wird, alternativlos gefangen sind. Sondern es gibt Alternativen. Nur, sie sind nicht einfach. Es ist nicht, den Schalter umlegen und statt Atom kommt jetzt was anderes, sondern es sind komplexe Szenarien.
Zwei Atomkraftgegner
Beide Gesprächspartner sind entschiedene Atomkraftgegner, beide halten den Ausstieg aus der Kernenergie und das Umsteigen auf alternative, erneuerbare Energien in einem Land wie Deutschland in nicht allzu langer Zeit für realistisch.
Bei Töpfer war das nicht immer so. Nach der Katastrophe von Tschernobyl hatte der Politiker, von 1987 bis 1994 Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in der Regierung Kohl, nicht gesagt, wir stellen die Kernenergie ab. Das sei damals nicht realisierbar gewesen. "Für das Abschalten ohne Ersatz für die verloren gehenden Kapazitäten der Energieproduktion hätte man keine demokratische Mehrheit gefunden", so Töpfer.
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Töpfer: Sie können sich vorstellen, viele Menschen in Deutschland sagen, als er Minister war und hätte das machen können, hat er das nicht gemacht, jetzt ist er nicht mehr Minister und muss andere beraten, dass sie so etwas tun, und dann tut er es mit großer Leidenschaft. Ich habe damals gesagt, wir müssen alles daran setzen, um eine Zukunft ohne Kernenergie zu erfinden. Wir waren alternativlos. Das habe ich gelernt: Wo immer du etwas siehst, was alternativlos ist - fang an, unruhig zu werden. Denk darüber nach, wo kriegst du Alternativen her.
Genug Alternativen vorhanden
Diese Alternativen, die es bei dem Reaktorunglück in der Ukraine vor 25 Jahren noch nicht gab, heute sind sie da: Solar- und Windenergie, Gezeitenkraftwerke und Geothermie. Man kann Algenbenzin herstellen, Wertstoff-Kreisläufe schließen und die Abfallwirtschaft optimieren. Es gibt Konzepte einer energiesparenden "urban mobility", die nicht mehr auf dem Privatauto basieren, einer urbanen, vertikalen Landwirtschaft und Visionen einer C02-neutralen Stadt. Solche innovativen Energielösungen, glauben die Gesprächspartner, sind die Zukunft - und auch ökonomisch ein Gewinn.
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Töpfer: Wir gehen in eine Welt mit über neun Milliarden Menschen hinein, die alle Energie brauchen. Da gibt es viele sehr gute Gründe, die auch wirtschaftlich sagen, warte nicht, bis dein Nachbar auch seine Kernkraftwerke abstellt. Mach du es. Zeig, dass es geht und dass du damit wirtschaftliche Chancen hast.
Yogeshwar: Der zweite wichtige Punkt ist, wegzugehen von dieser Hoffnung, die man früher hatte: Wir haben eine Energie, die löst alles, und jetzt machen wir mal eine andere Energie, die löst alles. Nein, es ist tatsächlich ein Wechsel, der wesentlich tiefer geht, der bis in unsere Lebensart, unsere Werte hineingeht.
Was brauchen wir wirklich?
Und so sprechen Ranga Yogeshwar und Klaus Töpfer nicht nur über Kraftwerke, Elektroautos und intelligente Stromzähler, sondern auch über Konsumverhalten, Wachstumsideologie und Ressourcenvernichtung. Neben die Frage der Energie-Effizienz tritt die der Suffizienz. Was brauchen wir wirklich? Wie viel Kohlendioxid-Emissionen sind nötig für unser Glück? Muss es immer mehr, kann es nicht auch mal weniger sein? Können und sollen alle irgendwann mal so leben wie wir? Und muss eigentlich das Bruttosozialprodukt jedes Jahr steigen? "Jedes Problem, das wir haben, versuchen wir durch Wachstum zu überwinden", sagt Töpfer und weist darauf hin, dass wir dieses Wirtschaftswachstum im Grunde subventioniert haben durch "eine Auslagerung erheblicher Kosten auf die Natur". "Wirtschaftliche Kategorien und Kategorien der Wettbewerbsfähigkeit dürfen nicht mehr die einzigen Konstanten sein, die unser Leben bestimmen", ergänzt Yogeshwar.
Dominanz der Kurzfristigkeit bei Finanzmarkt
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Töpfer: Ich habe den schönen Satz mal gesagt, wer rettet die soziale und ökologische Marktwirtschaft vorm Kapitalismus? Das ist eine wichtige Frage. Ich will ja Marktwirtschaft haben, aber ich will doch nicht unter der Kurzfristigkeit und der Kurzsichtigkeit eines ökonomischen Systems sein, das genau diese Probleme verursacht. Deswegen haben wir am Ende diese Finanzkrisenfragen mit aufgegriffen, weil sie für Nachhaltigkeit zentral sind. Nachhaltigkeit ist ja nicht ein ökologisches Konzept. Es ist ein Konzept, in dem wir Soziales, Ökonomisches und Ökologisches zusammenbringen müssen. Und das Unnachhaltigste, was wir haben, ist die Ökonomieseite, gar keine Frage. Dort ist eine derartige Dominanz der Kurzfristigkeit gegeben, dort werden so viele Kosten auf Zukunft abgeschrieben, das können wir unseren Schuldenbergen ja ansehen.
Das Gespräch zwischen Klaus Töpfer und Ranga Yogeshwar ist kein Streitgespräch, sondern ein respektvoll-freundlicher, sich wechselseitig vertiefender Meinungsaustausch, der, auch wenn er nicht ausnahmslos Neuigkeiten zutage bringt, von großem Fachwissen zeugt; ein für den Leser sehr anregendes und aufschlussreiches Gespräch über Ökologie, Ethik, Technik und Gesellschaft, über "Wutbürger", Armut und "kulturelle Diversität", über Mobilität, Wirtschaftslobbyismus und das "Prinzip Verantwortung" - und, ganz selten, auch über Privates:
Töpfer beichtet, unsinnig viele Pfeffermühlen in seinem Haushalt zu haben, Yogeshwar offenbart seine Abneigung gegen PS-starke Autos mit dicken Reifen. Wer das Gebot der Nachhaltigkeit verinnerlicht hat, kennt Skrupel - und Ressentiments. Eine Auseinandersetzung, die mit den Reaktorkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima und der verfehlten Energiepolitik der Vergangenheit begann, endet mit den Bankencrashs, der verfehlten Finanzpolitik von heute und Lehren für die Zukunft. Unser Wohlstand ist hinsichtlich seiner ökologischen und sozialen Zukunftsfähigkeit auf den Prüfstand zu stellen, sagt Klaus Töpfer. Unsere westliche Gesellschaft ist an vielen Stellen renovierungsbedürftig, meint Ranga Yogeshwar.
Zukunft mit anderen Energien
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Yogeshwar: Die tiefe Erkenntnis ist immer wieder, die Frage zu stellen, was genau wollen wir? Die eine Möglichkeit ist, wir können die Frage stellen. Die andere ist, genau das zu erleben, was wir bei Fukushima erlebt haben: Diese Systeme werden irgendwann in die Krise laufen... Es ist insofern nicht so, dass man dasteht und sagt, wir müssen was ändern. Sondern diese Notwendigkeit wird durch das System selber einfach gesetzt.
"Wir müssen eine Zukunft ohne Kernenergie erfinden", hat Klaus Töpfer nach dem Unglück von Tschernobyl gefordert. Diese Zukunft ist längst da. In Deutschland setzt man auf erneuerbare Energien. In Abu Dhabi wird eine CO2-freie Ökostadt gebaut. In der afrikanischen Wüste entstehen Solarkraftwerke. Der Atomstrom, er ist längst nicht mehr "alternativlos". Bleibt nur zu hoffen, dass auf die propagierte Energiewende nicht die Rolle rückwärts folgt.
Service
Klaus Töpfer, Ranga Yogeshwar, "Unsere Zukunft. Ein Gespräch über die Welt nach Fukushima", Verlag C. H. Beck
C. H. Beck - Unsere Zukunft