Pressefreiheit auf dem Prüfstand
Prozess gegen türkische Journalisten
13 Journalisten werden heute in der Türkei dem Richter vorgeführt. Ihnen wird vorgeworfen, einen Militärputsch mitvorbereitet zu haben. Einer der Angeklagten ist Ahmed Sik. Der in der Türkei prominente Journalist hatte mit einem Buch über Korruption bei Polizei und Militär die Generäle provoziert. Beobachter werten den Prozess als Antwort darauf.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 27.12.2011
"Es geht nur um das Buch"
Wie zwei gefährliche Terroristen wurden Ahmed Sik und Nedim Sener, zwei der bestangesehenen Journalisten der Türkei, von einer Sondereinheit der Polizei aus ihren Wohnungen geholt. Die Szene hat viele in der Türkei schockiert - und eine Welle lautstarker Proteste ausgelöst. Mit der Unterdrückung von Pressefreiheit habe das alles nichts zu tun, behauptete die türkische Regierung. Ein Täuschungsmanöver, meint Ahmed Siks Ehefrau Yonca: "Sogar Erdogan und der Staatsanwalt haben gesagt, dass es geheime Beweise gebe, dass es um terroristische Aktivitäten gehe, und dass es mit Journalismus nichts zu tun habe. Aber als wir nach sechs Monaten die Anklage gesehen haben, stand da nichts drinnen. Nichts. Es geht nur um das Buch." Das Buch, an dem Ahmed Sik und sein Freund Nedim Sener zuletzt gearbeitet haben, dokumentiert, wie eine islamische Sekte die türkische Justiz und Polizei Schritt für Schritt unterwandert.
"Im Auftrag von Putschisten"
Obwohl die Türkei in den letzten 10 Jahren eine nie dagewesene politische Öffnung erlebt hat, und täglich zahlreiche regierungskritische Zeitungen erscheinen, bewegen sich Journalisten oft am Rand der Illegalität, sagt der Kolumnist und Buchautor Mustafa Akyol: "So haben wir zum Beispiel einige Gesetze gegen terroristische Propaganda. Es kann aber genügen, dass Sie den Chef der kurdischen PKK mit dem Titel Herr bezeichnen, also die übliche respektvolle Anrede benützen, und schon kann man Sie wegen terroristischer Propaganda anklagen." Gegen Ahmed Sik und Nedim Sener wird ein weiteres Gesetz angewendet, das sie bis zu 14 Jahre ins Gefängnis bringen könnte. Der Staatsanwalt wirft ihnen vor, sie hätten im Auftrag von Militärs geschrieben, die einen Putsch gegen die gewählte Regierung planten. Dabei hatten gerade Ahmed Sik und Nedim Sener über die dunklen Machenschaften des Militärs berichtet.
Aufmerksamkeit für Gefangene
Dass die Vorwürfe gegen ihren Mann so absurd seien, hätte auch etwas Gutes sagt Yonca Sik. Dieser spektakuläre Fall würde auf viele andere Journalisten und Intellektuelle aufmerksam machen, die auf ähnliche Weise hinter Gitter kamen: "Menschen können in der Türkei sehr leicht verhaftet werden. Manche haben erst nach zwei Jahren die Möglichkeit sich zu verteidigen. Es gibt viele Beispiele, wo Menschen jahrelang im Gefängnis sitzen und nicht einmal wissen, wofür sie beschuldigt werden."
Prozess als Wendepunkt?
Vor seiner dritten Wahl zum Regierungschef hat Recep Erdogan eine neue, demokratische Verfassung versprochen. Viele haben sich davon auch eine Liberalisierung der Pressegesetze erwartet. Doch der ursprüngliche Reformeifer der konservativ-islamischen AKP habe deutlich nachgelassen, meint der liberale Kolumnist Mustafa Akyol: "Unser früheres System, der so genannte Kemalismus, war autoritär. Zwar war es sekulär, aber alles andere als liberal. Deswegen war der Aufstieg der AKP wichtig, weil die Islamisten als neue Kraft mit dem Establishment zusammen gekracht sind und schon aus eigenem Interesse für Freiheit waren. Aber jetzt sind wir in einer neuen Phase, in der die AKP das System selbst kontrolliert. Und ihre Macht genießt."
Der Prozess gegen Ahmed Sik und Nedim Sener könnte ein neuer Wendepunkt werden, sagen türkische Journalisten. Auf dem Spiel steht dabei jenes türkische Modell, das der arabischen Welt als demokratisches Vorbild dienen soll.