Statt Grabenkämpfe und Klientelpolitik
Liebscher ruft zu Schulterschluss auf
Der frühere Gouverneur der Österreichischen Nationalbank, Klaus Liebscher, glaubt weiterhin fest an den Euro. Er kritisiert aber die Politik, auf Mahnungen nicht gehört zu haben. Nun brauche man Taten statt Ankündigungen und einen Schulterschluss statt Grabenkämpfen und Klientelpolitik. Kritik übt Liebscher auch an den Ratingagenturen, deren Macht zumindest ausgesetzt werden sollte.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 30.12.2011
Ex-OeNB-Gouverneur Klaus Liebscher "Im Journal zu Gast" bei Michael Csoklich
Mahnungen missachtet
Als spürbarste Vorteile des Euro nennt Liebscher im Ö1 Interview "Im Journal zu Gast" den Wegfall der Wechselkurse, erhöhte Preistransparenz über Grenzen hinweg und "dass man weiterhin eine sehr stabile Währung hat". Nachteile will Liebscher nicht erkennen, sehr wohl aber Risiken, die in der Frage begründet sind, ob vereinbarte Spielregeln auch eingehalten werden. "Und dort leben wir jetzt, in der sogenannten Schuldenkrise." Liebscher wirft der Politik vor, versagt zu haben: Die Europäische Zentralbank (EZB) habe die Mitglieder immer zu einer disziplinierten Fiskalpolitik gemahnt. Diese Mahnungen seien aber nicht ernst genommen worden.
"Taten und Handeln" statt Grabenkämpfe
Die Schuldenbremse sei ein neuerliches Bekenntnis mit einigen verschärften Maßnahmen. Das sei sehr positiv, wichtig sei aber, es rasch umzusetzen, um Vertrauen zurückzugewinnen. "Wir haben nicht von einer reinen Ankündigungspolitik, sondern wir brauchen Maßnahmen, wir brauchen Umsetzung." Die Bevölkerung müsse mit guten Argumenten überzeugt werden, anstatt "sich in Grabenkämpfen und Positionierungen" zu ergehen. Außerdem müssten alle Gruppierungen des Landes einbezogen werden, doch statt dessen sei "primär Klienteldenken vorhanden", zeigt sich Liebscher besorgt. "Das ist nicht zielführend, wir brauchen einen Schulterschluss."
Kritik an Schuldennachlass
Der Euro befinde sich nicht in einer existenziellen Krise, sondern sei eine stabile und angesehene Währung. Die dahinter liegenden, vielleicht auch existenziellen, Probleme wie eben die Schuldenthematik müssten gelöst werden. Europas Staaten müssen im kommenden Jahr 1.300 Milliarden Euro refinanzieren. Die Banken brauchen 1.000 Milliarden. Grundsätzlich ist Liebscher optimistisch - wenn auch "nicht übermäßig" - , dass ein "Gutteil" dieses Mittelbedarfs finanziert werden kann - sofern das Vertrauen in die Länder zurückkehrt. Es werde aber keine vollständige Abdeckung geben, vor allem für den Bankensektor werde es nicht einfach werden, ist Liebscher überzeugt. Er kritisiert vor allem den Schuldennachlass für Griechenland, der Banken davon abschrecken könnte in Staatsanleihen zu investieren.
Macht der Ratingagenturen beschränken
Als "fragwürdig" prangert Liebscher auch das Vorgehen der Ratingagenturen an: "Ich habe den Eindruck, dass hier Politik gemacht wird. So kann es nicht gehen." Die Europäischen Regierungen sollten sich durchringen und die Macht der Ratingagenturen zumindest aussetzen, so Liebscher. "Da muss man halt kreativer werden."
Stärken bündeln
Die Erwartungen Liebschers für 2012: Der Euro werde weiter die Währung des Währungsgebietes sein, in der Schuldenkrise werde es zu klaren Umsetzungsmaßnahmen kommen, und die Europäer müssten ihre gemeinsamen Stärken bündeln um im weltweiten Wettbewerb zu bestehen.
"Schamlose Aufrundungen"
Dass das Vertrauen der Bürger in den Euro auch nach zehn Jahren noch schwach ist, sei menschlich verständlich. Im Vorfeld der Euro-Einführung sei viel gemacht worden, die Begeisterung sei groß gewesen. Danach sei der Informationsfluss geringer geworden. "Pech" sei es gewesen, dass gerade mit Einführung des Euro-Bargelds Teuerungswellen eingesetzt hätten, die bis heute "in den Köpfen vieler Menschen mitschwingen". Die Inflationsrate sei jedenfalls in den zehn Jahren seit der Euro-Einführung niedriger als in den zehn Jahren davor. Die Preissteigerungen beim täglichen Einkauf seien aber deutlicher gewesen, dazu seien "zu meiner Enttäuschung, schamlose" Aufrundungen in der Gastronomie, im Hotelbereich und bei einzelnen Dienstleistern gekommen. Die Österreichische Nationalbank habe sich immer um Aufklärung bemüht, aber rational gefällte Entscheidungen seien emotional nicht immer nachvollziehbar.