Türkisches Gericht: "Keine Verschwörung"
Journalisten-Mord: Empörung über Urteil
Fünf Jahre nach der Ermordung des armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink in Istanbul hat ein türkisches Gericht nun das Urteil gefällt: Ein türkischer Nationalist wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er den jugendlichen Haupttäter angestiftet haben soll. Weitere 17 mutmaßliche Mittäter wurden freigesprochen. Denn es habe sich um keine Verschwörung gehandelt, so das Gericht.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 18.1.2012
Drahtzieher ungeschoren
Wer den Auftrag gegeben hat, den armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink auf offener Straße zu erschießen, das wird wohl weiter ein Rätsel bleiben. Zwar muss neben dem jugendlichen Haupttäter nun auch ein Komplize eine Haftstrafe abbüßen, und das sogar lebenslang. Doch die eigentlichen Drahtzieher, die in Polizei- und Geheimdienstkreisen vermutet werden, bleiben weiter ungeschoren.
Entsprechend heftig reagieren die Angehörigen des Mordopfers und auch die Mitglieder jener kritischen Bürgerbewegung, die sich nach dem Tod des engagierten Journalisten vor fünf Jahren spontan gebildet hat, quer über religiöse und ethnische Grenzen hinweg. Sie sind überzeugt davon, dass Hrant Dink Opfer einer Verschwörung wurde und dass diese Verschwörung jetzt zugedeckt werden solle.
Spuren zur Exekutive
Hrant Dink hatte vor seiner Ermordung zahlreiche Todesdrohungen erhalten. Für türkische Nationalisten war er ein "rotes Tuch", weil er verdrängte Kapitel der türkischen Geschichte offen ansprach - wie das Massaker an hunderttausenden armenischen Zivilisten im Ersten Weltkrieg. Der Mittäter, der gestern zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, behauptet, den Auftrag zu dem Mord aus Polizeikreisen erhalten zu haben. Am Tag der Tat und auch in den Wochen davor hat er unzählige Telefonate geführt, und auch hier führen Spuren zur Exekutive. Dazu kommt, dass sich die Polizei bei der Auswertung der Telefondaten alles andere als kooperativ gezeigt hat.
Protest der Familie
Nun ermittelt die türkische Justiz seit Jahren gegen ein geheimes Netzwerk aus Militärs, Geheimdienstleuten und Unterweltlern. Der Geheimbund soll auf den Namen "Ergenekon" hören, extrem nationalistische Ziele verfolgen und mit Hilfe von Terroranschlägen die Macht im Staat an sich reißen wollen, so die Anklage. Hunderte Militärs, Journalisten und Wissenschaftler wurden unter dem Verdacht, "Ergenekon"-Mitglieder zu sein, verhört und in Untersuchungshaft gesteckt. Doch nun, beim Mordfall Hrant Dink, als die Justiz nun Gelegenheit hätte, eine Spur direkt zum "tiefen Staat" zu verfolgen, lasse man die Gelegenheit vorbei gehen, kritisieren die Anwälte der Familie Dink.
Vielleicht ist das damit zu erklären, dass im Fall Dink nicht die Militärs, sondern die Polizei angetastet werden könnten. Und während die Generäle zuletzt vom hohen Ross gefallen sind, nimmt der politische Einfluss der Polizei spürbar zu.