Krimi von Jo Nesbo

Die Larve

Wir beginnen gleich mit mehreren Handicaps: "Ex libris" und insbesondere deren Krimi-Specials haben mit Bestsellerlisten nicht allzu viel am Hut. Hier handelt es sich um einen solchen, nicht nur in Norwegen sondern auch im deutschen Sprachraum.

Die skandinavischen Krimis, Handicap Nummer zwei, raunen zumindest die Kritikerkollegen, sind nicht nur zu einer "Sturmflut" herangeschwollen, nein, sie sind auch zur Massen- und Konfektionsware verkommen. Motto: Einen gelesen, alle gekannt.

Handicap Nummer drei, und dieses entstammt eigener Erfahrung: Selten gibt es einen neuen Kriminalroman aus dem europäischen Norden, der es unter 500 Seiten schafft. Und nachdem nicht jeder Krimiautor, jede Krimiautorin, egal woher sie stammen, die Verve und Genialität eines James Ellroy haben, der auch 800-seitige US-Blutopern und Korruptionsepen abliefern kann, wird es gelegentlich mühsam.

Goldenes Zeitalter vorbei

Ja, das alles stimmt irgendwie, und leider sind die guten Zeiten von Sjöwall/Wahlöö, die in den 1970er Jahren nicht nur das schwedische, sondern das gesamteuropäische Krimi-Genre mit Psychologie und Sozialkritik revolutionierten, schon lange vorbei.

Auch ein Henning Mankell hat sich mit seinen Wallander-Romanen schon vor Jahren totgelaufen - der letzte entließ den Helden gnädig ins beginnende Alzheimer-Stadium -, und nicht viel spannender las sich auch der voluminöse Beipackzettel, sprich: der Krimi selbst.

Also, was jetzt und warum? Zugegeben noch ein Versuch, zugegeben, es sind wieder einmal gezählte 561 Seiten; ja, der Autor steht auf der Bestsellerliste, und heißen tut er Jo Nesbo, und sein Held ist ein ehemaliger Kriminalkommissar aus Oslo, namens Harry Hole.

Von Asien nach Europa

Eines vorneweg, und dieses Faktum ist auch ausschlaggebend für die Auswahl des Krimi-Specials: Es ist die Nummer neun und auch der letzte Roman dieser überaus erfolgreichen Serie mit dem geschassten, eigenwilligen, desperaten und alkoholkranken Ex-Kommissar.

Hole kommt nach mehreren Jahren Asien-Aufenthalt, wo er als Schuldeneintreiber in Singapur tätig war, zurück nach Oslo, um seinem Stiefsohn, der des Mordes im Drogenmilieu verdächtigt wird, aus der Patsche zu helfen. Dezent unterstützt von seinen Ex-Kollegen und -Kolleginnen, beginnt er mit Ermittlungen auf eigene Faust, und diese führen ihn nicht nur mit seiner Ex-Frau zusammen sondern auch in ein Milieu hochorganisierter Kriminalität, aufgebaut von der russischen Mafia.

Drogenhandel, Drogenschmuggel von Asien nach Europa - und als neue Facette ein in norwegischen Labors hergestelltes synthetisches Rauschgift namens "Violin". Stärker als jedes verfügbare Opiat, sofortige Abhängigkeit gegeben, ein "Straßenrenner", ideal für den Umsatz der Dealer. Dazu eine gehörige Portion politischer und polizeilicher Korruption. Soweit der grobe Handlungsfaden.

Väter-Söhne-Drama

Was Nesbo daraus macht, ist erzählerisch durchaus bemerkenswert. Ihm gelingen sehr dichte Schilderungen des Junkie- und Dealer-Lebens, die an die Romane des US-Amerikaners Richard Price - Stichwort: "The Clockers" - erinnern.

Aber, es wäre eben nicht Skandinavien und die aktuelle skandinavische Kriminalliteratur, wenn über die grausige Realität nicht auch noch ein archaischer Bogen von beinahe alttestamentarischer Gnadenlosigkeit aufgezogen werden würde. Ein Väter-Söhne-Drama, das für alle Beteiligten fatal endet.

Fazit: Dieser Nesbo-Krimi ist lesenswert, nicht nur, weil es der letzte mit Harry Hole ist, sondern weil er - abgesehen von ein paar Überlängen - dramaturgisch, stilistisch und sprachlich perfekt gestrickt ist. Letzteres ist mit Sicherheit auch dem Übersetzer aus dem Norwegischen zu verdanken. Günther Frauenlob heißt der Mann.

Service

Jo Nesbo, "Die Larve", aus dem Norwegischen übersetzt von Günther Frauenlob, Ullstein Verlag

Ullstein - Jo Nesbo