Wähler vermissen Sachdiskussion

Slowakei: Skandal überschattet Wahlkampf

Am Samstag finden in der Slowakei vorgezogene Parlamentswahlen statt. Es sieht ganz danach aus, dass die bisherige Mitte-Rechts-Regierung unter Ivěta Radičova abgewählt wird. Der Wahlkampf ist überschattet von einem Korruptionsskandal.

Mittagsjournal, 6.3.2012

Aus Bratislava,

Aufschrei der Bevölkerung

In der "Gorilla-Affäre" geht es um Abhörprotokolle des slowakischen Geheimdienstes, die aufzeigen, dass bei den großen Privatisierungen 2005/2006 alle politischen Parteien, vor allem die des damaligen Premier Dzurinda, massiv mitgeschnitten haben. Die Veröffentlichung dieser Abhörprotokolle kurz vor Weihnachten hat zu einem regelrechten Aufschrei in der slowakischen Bevölkerung geführt, in den vergangenen Wochen sind zehntausende Slowaken in vielen Städten des Landes auf die Straße gegangen, auch in Zilina in der Nordslowakei.

Heftiger, aber kurzer Protest

Zilina ist eine ruhige Stadt knapp zwei Autostunden von Bratislava entfernt. 85.000 Einwohner zählt Zilina, die vor allem als gemütliche Einkaufsstadt in der Region bekannt ist. Vor zwei Wochen ging es hier aber etwas weniger ruhig zu - tausende Menschen waren auf der Straße, sie haben ihrem Ärger über die Korruption im Land Luft gemacht. In der Fußgängerzone von Zilina erzählt Jana, die hier ein kleines feines Literaturcafé im Stadtzentrum führt, sie habe noch nie eine solche Demonstration in der Stadt hier erlebt. Aber so schnell wie der Protest aufflammte, so schnell war er auch wieder vorbei. Korruption sei natürlich ein wichtiges Thema, werde aber auch politisch missbraucht, meint Jana.

Wasserkopf Bratislava

Es sei schade, dass dieses Korruptionsthema so den ganzen Wahlkampf überlagert, andere wichtige Themen hätten gar keinen Platz mehr, sagt Janas Freund Vlado, der in Zilina eine NGO betreibt, die Jugendlichen in Workshops Bürgerrechte vermittelt: "Wir sollten endlich auch wieder über andere Themen sprechen, zum Beispiel über die Regionale Entwicklung. In der Slowakei besteht das Problem, dass wir Bratislava Wachstumsraten über dem EU-Durchschnitt haben und dann den Rest der Slowakei, der ziemlich hinterherhinkt." Ein altes Problem, um das sich aber bisher noch nie jemand wirklich gekümmert habe, so Vlado. Der Grund für ihn: "Im slowakischen Wahlsystem gibt es nur einen Wahlkreis, auf den Wahllisten sind an den wählbaren Plätzen meist nur Kandidaten aus der Hauptstadt. Und die haben gar keine Ahnung, wie es in den Regionen wirklich zugeht."

Von Politik enttäuscht

Dem stimmt Zdeno zu. Der 32Jährige baut Passivhäuser, ein Novum in der Slowakei. Politisch sieht er sich als Wirtschaftsliberaler, von der Politik ist er enttäuscht: "Ich bin kein Grüner, ich baue Passivhäuser nicht aus ideologischer Überzeugung, sondern weil ich einfach glaube, das ist eine Zukunftsinvestition. Immer mehr Menschen sehen das ebenfalls so, nur nicht unsere Politiker. Es gibt bei uns keinerlei Förderungen für grüne Technologie wie z.B. in Österreich oder anderen Ländern."

"Das kleinere Übel" wird gewählt

So wie Zdeno kommt auch Ludovit regelmäßig ins Literaturcafe, das ein Zentrum ist für all jene, die in der Stadt etwas bewegen wollen. Ludovit besitzt eine erfolgreiche Internetfirma mit zehn Angestellten. Der Korruptionsskandal um die "Gorilla-Affäre" hat auch ihn entsetzt - obwohl: Geahnt habe er es wie die meisten Slowaken schon länger, wie verzahnt Wirtschaft und Politik hier seien. In der Slowakei müsse sich etwas strukturell ändern, so Ludovit: "Der Rechtsstaat muss ausgebaut werden, gestärkt werden, die Gerichte müssen ordentlich und unabhängig funktionieren, das wäre nun besonders wichtig", so Ludovit. Wen er am kommenden Samstag wählen wird - da ist er sich, so wie die anderen hier im Café noch nicht sicher. "Das kleinere Übel halt", sagen sie. Doch was das kleinere Übel ist, können sie nicht sagen.