Brutaler Machtkampf vor Führungswechsel

Gerüchteküche in Peking brodelt

Im Herbst wird in China der geplante Generations- und Machtwechsel eingeläutet. Davor mehren sich die Anzeichen für einen Richtungsstreit und brutalen Machtkampf innerhalb der Kommunistischen Partei. Im Internet kursieren wohl unbegründete Gerüchte über einen Putsch. Die Öffentlichkeit bekommt einen seltenen Einblick in das Gerangel hinter den Kulissen.

Mittagsjournal, 28.3.2012

Jörg Winter berichtet aus Peking.

Polizist gegen Parteichef

Die Leitfigur der Linken, der Parteichef der Millionenmetropole Chongqing, wurde abgesetzt, sein Polizeichef verhaftet. Bo Xilai war auf dem Weg ganz nach oben. Man nennt seinesgleichen in China die Prinzlinge. Die Söhne und Töchter von Revolutionshelden, Mitglieder des KP-Adels, deren Macht und Einfluss riesig sind. Doch plötzlich stolpert Bo Xilai ausgerechnet über seinen Polizeichef und langjährigen Weggefährten Wang Lijun. Der fürchtet offenbar um sein Leben, nachdem er gegen die Familie seines Chefs polizeilich ermitteln lässt. In Peking packt der Polizist gegen seinen früheren Boss aus. Was er genau sagt, weiß niemand. Doch seine Informationen dürften brisant gewesen sein. Bo Xilai wird als Parteichef der Millionenmetropole Chongqing entmachtet.

Mächtige Feinde

Seit Jahren ist kein so hoher KP-Funktionär mehr so tief gefallen. Noch zu Jahresbeginn wurde Bo als aussichtsreicher Kandidat für den ständigen Ausschuss des Politbüros gehandelt, dem neunköpfigen mächtigsten Gremium des Landes. Bo Xilai ist die Gallionsfigur von Chinas Linken. Er ließ maoistische Ideale in Chongqing hochalten, die Bürger seiner Stadt rote Lieder absingen, private Unternehmer wurden verfolgt, Parteikader und auch Studenten aufs Land geschickt, um von den Bauern zu lernen. Eine großangelegte Kampagne gegen Korruption und organisiertes Verbrechen haben ihm landesweit Sympathie beschert. Doch dürfte sich Bo Xilai mit brutalen Polizeimethoden auch unliebsamer politischer Gegner entledigt haben. Und so haben mächtige Feinde in Peking nur darauf gewartet haben, den ebenso ehrgeizigen wie skrupellosen Politiker und seine roten Umtriebe zu stoppen.

"Die Verantwortlichen in Chongqing müssen Lehren aus ihren Taten ziehen", sagt Premierminister Wen Jiabao in seiner letzten großen Pressekonferenz. Und er warnt vor einem Rückfall in die Zeit der Kulturrevolution. Eine offene Kritik an den Versuchen Bo Xilais, die maoistische Ideologie wieder zu beleben. Mit den Worten des Premierministers war Bo Xilais politisches Schicksal besiegelt.

Abenteuerliche Gerüchte

Seither brodelt die Gerüchteküche. Von einem Machtkampf innerhalb der Mauern von Zhongnanhai, dem Regierungsviertel in Peking, ist die Rede. Angebliche Augenzeugen wollen Schüsse gehört haben, auf den Mikroblogs kursieren Putschgerüchte der Hardliner-Fraktion. All das erscheint abwegig und wenig glaubwürdig. Doch geben viele der KP selbst Schuld an den abenteuerlichen Gerüchten, die von der offiziellen Geheimniskrämerei nur noch angefeuert werden. Mit dem Fall von Bo Xilai sei der Machtkampf in höchsten KP-Kreisen jedenfalls längst nicht ausgestanden, sagt ein bekannter Rechtsgelehrter und Kritiker der KP-Linken im ORF-Interview: "Die ideologischen Unstimmigkeiten innerhalb der Partei sind nicht gelöst. Es gibt immer noch eine Fraktion, die Bo Xilai und seine Ideen unterstützt. Die Öffentlichkeit will mehr Informationen über den Fall. Bedenkt man aber den üblichen Vorgang der KP in solchen Situationen, dann ist kaum mehr an Transparenz zu erwarten."

Im Gegenteil: Man unternimmt alles, um den Vorhang vor der Bühne der Macht mit ihren Grabenkämpfen und Intrigen wieder zu schließen. Doch ist längst eines klar: so ruhig, rund und planmäßig wie erhofft wird der Machtwechsel in China im kommenden Herbst kaum ablaufen.