Rätsel um verschwundenen Polizisten
Polit-Krimi in höchsten KP-Riegen
Der vielleicht bekannteste Polizist Chinas, ein gefeierter Jäger von Mafiosi und korrupten Parteikadern, fällt in Ungnade und verschwindet spurlos. Viele sehen darin den Ausdruck eines Machtkampfs um die Staatsführung. Im Herbst wird in der Kommunistischen Partei planmäßig der Führungswechsel eingeläutet.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 22.2.2012
Aus Peking berichtet Jörg Winter
Spurlos weg
Chongqing, die Millionenmetropole am Yangtse, ist nicht zum ersten Mal in Anlass für heiße Debatten. Lange Zeit als Hochburg des organisierten Verbrechens bekannt hat Chongqing mittlerweile einen erstaunlichen Wandel durchgeführt. Dutzende Mafiosi wurden verurteilt, manche gar exekutiert. Korrupte Parteikader wurden bloßgestellt. Zu verdanken ist das einer Kampagne unter Federführung von Wang Lijun, jahrelang der Polizeichef von Chongjing, der zum wohl bekanntesten Polizisten Chinas aufgestiegen ist. Umso überraschender ist es, als Wang Lijun plötzlich aller Ämter enthoben wird. Er fürchtet ein Mordkomplott, flüchtet in ein amerikanisches Konsulat in der Nachbarprovinz Sichuan und beantragt angeblich Asyl. Die Amerikaner setzen in nach einem Tag wieder an die frische Luft. Er wird festgenommen - und verschwindet spurlos.
"Problem gelöst"
Angeblich wird Wang Lijun jetzt in Peking verhört. Im Lokalfernsehen von Chongqing hört sich das alles so an: "Wang Lijun leidet an Überarbeitung und mentalem Stress. Er unterzieht sich deshalb jetzt einer urlaubsähnlichen medizinischen Behandlung." - "Das Problem ist gelöst, mehr gibt es dazu nicht zu sagen", bekommen fragende Journalisten wenig später im Außenministerium in Peking zu hören.
Intrige gegen Chef?
Korruptionsvorwürfe liegen in der Luft. Doch wollen Stimmen nicht verstummen, die dahinter in Wirklichkeit eine Intrige vermuten. Nicht gegen den Super-Polizisten, sondern gegen seinen Chef. Der heißt Bo Xilai, ist Parteichef von Chongqing und galt lange Zeit als aufsteigender Polit-Star. Ein linker Populist, der in seiner Stadt rote Lieder absingen und maoistische Traditionen hochhalten lässt. Das machte ihn zum Liebling der Parteilinken, hat ihm in Peking aber auch mächtige Feinde beschert.
Zusammenhang mit Machtwechsel
"Bo Xilais Methoden haben in der KP für große Nervosität gesorgt. Niemand will nach links driften oder in die alte Zeit zurückkehren. Denn die größten Gewinner der letzten 30 Jahre Reformpolitik waren ja gerade die mächtigen KP-Politiker", meint der Pekinger Politologe Zhang Ming. Dass höchste Kreise in der KP den Skandal nutzen könnten oder gar angezettelt haben, um Bo Xilais Ambitionen auf einen Platz ganz oben in Chinas nächster Führung zu torpedieren, einer solchen Interpretation stimmt der Politologe zu. Professor Zhang: "Die Geschichte in Chongqing hat mit dem bevorstehenden Machtwechsel zu tun. Die Fraktionen innerhalb der KP sind in letzter Zeit sehr aktiv. In Peking ist alles in Bewegung. Alles bereitet sich auf den Machtkampf am Parteitag im Herbst vor."
Heikle Zeit
Beim Parteitag wird ein neuer KP-Chef ernannt, der dann wenige Monate später auch das Präsidentenamt übernehmen wird. Auch der Premierminister wird sein Amt zurücklegen. Im allmächtigen Politbüro erfolgt die große Pensionierungswelle. Eine heikle Zeit in Chinas KP, in der Karrieren gemacht oder eben auch zerstört werden.