Amnesty International-Mitarbeiterin als Augenzeugin
Syrien: "Tod, Terror und Zerstörung"
Seit mehr als einem Jahr tobt in Syrien ein bürgerkriegsähnlicher Aufstand gegen das Regime von Präsident Assad. Eine Mitarbeiterin von Amnesty International war jetzt heimlich im Norden von Syrien und schildert exklusiv für das Mittagsjournal ihre Eindrücke.
27. April 2017, 15:40
Mittagsjournal, 05.05.2012
Idlib: Tod und Zerstörung
Wie Donatella Rovera nach Syrien kam, will sie nicht sagen. Es war eine Undercover-Mission, und man kann sich vorstellen, dass Hinweise auf die Wege nach Syrien zahlreiche Menschen gefährden könnten. Sie selbst hat sich bis in die Stadt Idlib durchgeschlagen, im Nordwesten Syriens nahe der türkischen Grenze. Was sie dort sah, schildert sie mit drastischen Worten so: "Ich habe enorme Zerstörung gesehen - hunderte Häuser, die absichtlich niedergebrannt wurden. Ich habe mit vielen Familien gesprochen, deren Verwandte getötet wurden, manche auf grausamste Weise. Ich habe mit Müttern gesprochen, deren Söhne vor ihren Augen verschleppt wurden. Später wurden diese Söhne exekutiert und manche Leichen angezündet, sodass man nur noch verbrannte Körper fand."
Willkürliche Hinrichtungen und Terror
Zehn Tage war die erfahrene Amnesty-Berichterstatterin in Syrien; dabei konnte sie sich ein klares Urteil bilden, basierend nicht nur auf vielen Gesprächen, sondern auch darauf, was sie zu sehen bekam. "Es ist klar, dass nicht nur bewusst Verbrechen begangen wurden, wie willkürliche Hinrichtungen, sondern der Bevölkerung auch eine klare Botschaft übermittelt wird, um sie zu terrorisieren - und das ist gelungen."
UNO-Beobachter werden abgeschirmt
Die wenigen UNO-Überwacher, die inzwischen im Land sind, haben die Situation kaum verbessern können, berichtet sie. Von einem Rückzug des Militärs ist keine Rede, Hundertschaften von Soldaten in Uniform und von zivil gekleideten Sicherheitsleuten wurden auf offenen Lastautos nach Idlib gebracht, ehe die UNO-Beobachter eintrafen. Für die Syrer gibt es keine Möglicheit, mit den Beobachtern in Kontakt zu kommen, schildert Donatella Rovera: "Die Menschen sind besorgt, weil sie sich den UNO-Überwachern nicht einmal nähern können, weil das zu riskant ist. Die Überwacher werden von den Sicherheitskräften einfach abgeschirmt. Ich hätte mit den UNO-Leuten auch nicht sprechen können, vermutlich wäre ich verhaftet worden, wenn ich versucht hätte, zu ihnen zu gehen."
Wahlen für Montag geplant
Am kommenden Montag will das Regime Wahlen abhalten lassen. Eine politische Einschätzung dazu gibt Amnesty nicht ab. Auf die Frage, ob es organisatorisch überhaupt möglich wäre, eine Wahl nach halbwegs demokratischen Standards abzuhalten, antwortet die Rovera: "Alles was ich sagen kann ist, dass Menschen noch immer getötet oder willkürlich verhaftet werden oder spurlos verschwinden. Tausende Familien haben keine Ahnung, wohin Verwandte verschleppt wurden. In den meisten Fällen können die Menschen dort, wo ich war, die Stadt nicht verlassen, weil sie Angst haben, am nächsten Kontrollpunkt verhaftet zu werden." Die Situation scheint also Wahlen nicht zuzulassen, aber das Regime tut das, was es schon seit einem Jahr macht: auf Zeit spielen und sich den Anschein von demokratischen Reformen zu geben.