Wirtschaftswissenschafter Stefan Schulmeister

Zur Situation in Griechenland

Streit, Ratlosigkeit, Panik, Sturm auf die Banken, Kapitalflucht ins Ausland - gestern allein sind 7 Millionen Euro abgehoben worden. "Sparpolitik ist etwas Kurzfristiges, Kurzsichtiges und wirklich nur Symptomorientiertes", sagt Wirtschaftswissenschafter Stefan Schulmeister, der sich derzeit in Griechenland befindet über die schwierige Situation.

Mittagsjournal, 16. 05. 2012

Wirtschaftswissenschafter Stefan Schulmeister im Gespräch mit Wolfgang Wittmann.

Europa vor dem Scheideweg

Ganz Europa stehe vor einem Scheideweg. "Die griechische Bevölkerung wird bei der Wahl ein dreifaches Signal aussenden", ist Schulmeisters Prognose. "Erstens: wir wollen im Euro bleiben, zweitens: wir wollen unsere Schulden zahlen und drittens: wir können das aber nicht tun, wenn die Sparpolitik fortgesetzt wird." Wenn die EU das als entweder oder sehen würde, dann schaffe das eine unglaubliche Anspannung bei den Leuten, sagt Wirschaftswissenschafter Stefan Schulmeister im Ö1-Mittagsjournal.

Griechenland - der Sündenbock

Das Grundproblem sei, dass die Krise nicht nur eine Griechenlandkrise ist. Schulmeister: "Man verwendet Griechenland ein bisschen schon als Sündenbock, weil es der Auslöser war." Man würde aber doch sehen können, dass die Sparpolitik in Portugal, in Spanien und in Italien, alle diese Länder in eine Rezession gebracht hat. Der erste Schritt müsste also sein, zu erkennen, dass hier ein allgemeines Problem vorhanden sei, das leider ein bisschen Ähnlichkeit habe mit dem Jahr 1930/31, am Beginn der Weltwirtschaftskrise.

Staat darf Nachfrage nicht senken

Schulmeister: "Wenn Unternehmer und Haushalte schon zurückhaltend sind, dann darf der Staat nicht auch noch seine Nachfrage senken, das ist einfach purer Unsinn. Und durch eine gewisse wirtschaftswissenschaftliche Entwicklung der letzten 30 Jahre hat man halt die Grundeinsichten die aus der Aufarbeitung der Weltwirtschaftskrise erarbeitet wurden, vergessen."

Verzicht auf Fiskalpakt sei wesentlich

Der wichtigste Wachstumsimpuls wäre auf den Fiskalpakt zu verzichten. Schulmeister: "Zu sagen, ich verankere die Sparpolitik geradezu in den Verfassungen, aber mache zusätzlich eine Wachstumspolitik. Was soll das heißen? Mit einem Fuß stehen wir auf der Bremse und mit dem anderen stehen wir am Gaspedal." Das mache in der Tat keinen Sinn", sagt Schulmeister.

Es braucht ein langfristige Konzept und mehr Zeit

Griechenland sei aber noch nicht in einem völligen Desaster. Schulmeister: "Das ganze Zahlungssystem mit der Europäischen Zentralbank funktioniert durchaus noch." Jetzt müsste aber rasch ein klares Signal gesendet werden. "Ihr Griechen habt viele Probleme, ihr habt auch große Schuld - die Politiker nämlich - auf euch geladen, schwere Verfehlungen, eine Klientelpolitik, die geradezu lächerlich ist." Das habe dazu geführt, dass viel zu viele Beamte über Jahrzehnte eingestellt worden seien. Das alles seien schwere Mängel. Die könne man aber nur über einen Zeitraum von zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren wirklich überwinden.

Wirtschaftswissenschafter Stefan Schulmeister: "Auch unsere Länder nach dem 2. Weltkrieg konnten nicht in drei, vier Jahren aus den Zerstörungen und einer krisenhaften Situation rauskommen. Und genau das würde auch Griechenland, aber auch Portugal brauchen, das man ihnen durch ein längerfristiges Konzept die Chance gibt aus der Misere rauszukommen."

Euroausstieg Griechenlands ist gefährlich

Schulmeister: "Sparpolitik ist etwas Kurzfristiges, Kurzsichtiges und wirklich nur Symptomorientiertes." Wenn Griechenland aus der Eurozone ausscheidet, würde die europäische Wirtschaft in eine Depression verfallen, eine langfristige Krise. Einfach deshalb, weil dann die Zinsen für portugiesische, italienische, spanische Staatsanleihen mit Sicherheit steigen würden. Schulmeister: "Was soll denn ein internationaler Anleger von einer Währung halten, deren Instituionen ein Mitgliedsland fallen lässt?"

Indirekte Bedrohung auch für Österreich

Unmittelbar sei Österreich nicht von einem möglichen Staatsbankrott Griechenlands bedroht, aber indirekt eben schon, weil es das gleiche Planspiel sei, das man vor zwei Jahren gemacht habe, sagt Schulmeister. "Damals hat man den Rettungschirm gegründet für Griechenland und gesagt, es sei nur ein Griechenlandproblem. Wenig später war die Sache in Irland, Spanien, Italien. Jetzt sagt man, wir lassen eventuell Griechenland aus dem Euro raus. Sie werden sich wundern, was dann passiert, wenn ein solcher Prozess der schrittweisen Vertiefung der wirtschaftlichen Spaltung Europas sich fortsetzt und die haben wir ja schon. Ganz Südeuropa und nicht nur Griechenland sind in einer Rezession." Über kurz oder lang würde natürlich auch Österreich in Mitleidenschaft gezogen.