Scharfe Worte gegen NATO-Projekt
Kreml: Präventivschlag wegen Raketenschild?
Ein wichtiges Thema des NATO-Gipfels in Chicago ist auch der Ausbau des sogenannten Raketenabwehrschildes, der 2020 einsatzbereit sein soll. Russland läuft gegen diesen Raketenschirm Sturm und droht sogar mit Präventivschlägen auf NATO-Gebiet, sollten die russischen Bedenken nicht ausgeräumt werden.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 21.5.2012
Sorge um "Gleichgewicht des Schreckens"
Für die USA und Europa ist der Raketenabwehrschild ein Thema unter vielen, für Russland ist er das Thema Nummer eins. Mehr noch: Seit Monaten tut die Führung im Kreml so, als sei das Projekt, mit dem einfliegende Atomraketen noch vor dem Erreichen ihrer Ziele in Europa vernichtet werden, nicht gegen den Iran oder andere sogenannte Schurkenstaaten gerichtet, sondern einzig und allein gegen die Stellung von Russland als Großmacht. Die NATO, so versichert der Kreml, wolle damit das atomare Gleichgewicht des Schreckens durcheinanderbringen und die russischen Atomraketen wertlos machen. Sobald das System installiert sei, halte nichts mehr die NATO von einem Angriff gegen Russland ab.
Präventivschlag möglich
Wie ernst es der russischen Führung zu sein scheint sieht man einer Wortmeldung von Generalstabschef Nikolai Makarov: "Wenn wir den destabilisierenden Effekt des Raketenabwehrschilds in Betracht ziehen, besonders die Illusion, dass eine Seite einen Erstschlag führen kann ohne mit Vergeltung rechnen zu müssen, könnte im Fall einer Eskalation die Entscheidung getroffen werden, einen Präventivschlag durchzuführen." Und der würde sich, folgt man dem, was Makarov zwischen den Zeilen sagt, am ehesten gegen Raketenstellungen in Polen richten. Russland droht außerdem mit nuklearer Aufrüstung und dem Ausstieg aus allen Abrüstungsverträgen.
Kompromisslose Haltung
Das NATO-Raketenabwehrsystem soll 2020 einsatzbereit sein, und umfasst unter anderem eine Radarstation in der Türkei, mit Raketen bestückte Schiffe im Mittelmeer und Raketenbasen in Polen und Rumänien. Experten halten die russischen Befürchtungen für überzogen: Das System kann, sollte es überhaupt funktionieren, einzelne Raketen abfangen, aber keinen Großangriff mit mehreren hundert russischen Sprengköpfen. Doch Russland scheint nicht zu Kompromissen bereit: Dass Wladimir Putin seine Teilnahme am G-8-Gipfel vergangene Woche in den USA abgesagt hat, liegt in erster Linie am Raketenschild: Er wollte am folgenden NATO-Gipfel nicht einmal anstreifen.
Reine Preissache?
"Wir brauchen klare Garantien, dass das Raketenschild der USA und ihrer NATO-Verbündeten nie gegen Russland eingesetzt wird, unabhängig von politischen Änderungen in den Mitgliedsstaaten", sagt Generalstabschef Makarov. Was die russische Führung mit diesen scharfen Tönen bezweckt, ist unklar: In den Wahlkämpfen der vergangenen Monate war das Raketenabwehrschild ein willkommenes Argument, um zu zeigen, dass das Ausland Russland bedrohe und nur Wladimir Putin das Land retten könne. Aber die Wahlen sind vorbei. Denkbar, dass das Säbelrasseln nur den politischen Preis für die russische Zustimmung zum Raketenschild weit und immer weiter in die Höhe schrauben soll.