WTO: Reformdruck auf Russland
Nach 18 Jahren mühseliger Verhandlungen zwischen der Welthandelsorganisation (WTO) und Russland hat das russische Parlament den Beitritt ratifiziert. Damit wird mit Russland das letzte große Schwellenland Mitglied im Kreis der bisher 155 WTO-Länder. Das soll die russische Wirtschaft wettbewerbsfähiger machen, hofft die Regierung. Doch Gegner befürchten Nachteile.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 16.7.2012
Aus Moskau berichtet Carola Schneider
"Landwirtschaft wird vernichtet"
Buchstäblich in letzter Minute hat das russische Parlament für den WTO-Beitritt gestimmt, wäre dies nicht bis zum 23. Juli gelungen, hätte der Verhandlungsmarathon von vorne beginnen müssen. Für den Beitritt stimmten nur die Abgeordneten der Kremlpartei "Einiges Russland". Die Oppositionsparteien hingegen befürchten, dass Russland den wirtschaftlichen Folgen nicht gewachsen ist. "Das wird große Verluste mit sich bringen", kritisiert der kommunistische Abgeordnete Wladimir Kaschin. Milliarden von Rubel würden benötigt, um die verheerenden Auswirkungen auf zu lindern. So würden die heimische Landwirtschaft und der Produktionssektor schlicht vernichtet werden.
Gut für Konsumenten
Tatsächlich ist in Russland die Angst groß, dass der WTO-Beitritt vor allem Nachteile bringt. Denn der russische Markt, der bisher von der ausländischen Konkurrenz abgeschottet ist, muss geöffnet werden. Russland muss Zölle und Exportsubventionen deutlich kürzen. Bis 2015 müssen die Importzölle im Schnitt von derzeit 9,5 auf rund 6 Prozent sinken. Hauptsächlich profitieren davon die Konsumenten, die sich über Preissenkungen und ein größeres Warensortiment freuen dürfen. Die oft noch aus Sowjetzeiten stammende Industrie wird jedoch nur schwer mit den billiger produzierenden ausländischen Konkurrenten mithalten können. Präsident Putin hat denn auch angekündigt, dass die negativen Auswirkungen, etwa im Landwirtschaftsbereich, durch Subventionen abgefedert würden.
Impuls für Modernisierung
Insgesamt überwiegen jedoch die Vorteile des WTO-Beitritts, so die Politologin Maria Lipmann vom Moskauer Carnegie-Zentrum: "Die Kritiker des WTO-Beitritts zum heutigen Zeitpunkt meinen, dass es besser gewesen wäre, zuerst die Industrie zu modernisieren und erst dann beizutreten. Ich denke, die Regierung sieht den Beitritt und die damit verbundenen Auflagen als Anreiz und Impuls, die russische Wirtschaft wettbewerbsfähig zu machen. Was wir selbst aus Eigeninitiative nicht schaffen, müssen wir nun durch den Druck von außen tun."
Attraktiver für Investoren
Experten rechnen damit, dass der WTO-Beitritt die Wettbewerbsfähigkeit russischer Unternehmen erhöht und bisher lange hinausgezögerte Reformen und Liberalisierungsschritte beschleunigt. Die überbordende Bürokratie dürfte abgebaut und undurchsichtige rechtliche Rahmenbedingungen klarer geregelt werden. Das, so hoffen die Befürworter des WTO-Beitritts, soll ausländische Investoren anziehen, die bisher oft durch Korruption und wenig Rechtssicherheit abgeschreckt werden. Zurzeit investieren ausländische Geldgeber in Russland viel weniger als in anderen Schwellenländenr. Russland rangiert auf internationalen Ranglisten bezüglich des Geschäftsklimas weit hinten. Präsident Putin hat angekündigt, dies in den nächsten Jahren zu ändern. Ob dies gelingt, ist noch offen. Der Beitritt zur WTO und den damit verbundenen klaren Spielregeln ist aber ein Schritt in diese Richtung.