Briefe von Alan Ginsberg und Jack Kerouac
Ruhm tötet alles
Beat, erklärte Jack Kerouac einmal, bedeute für ihn: "niedergeschlagen", "Außenseiter", "mit hellsichtigen Augen". Das Wort Beatnik, so will es die Legende, entstand als amerikanische Antwort auf den ersten, von den Sowjets ins All geschossenen Satelliten. Sputnik plus Beat ergibt: Beatnik.
8. April 2017, 21:58
Ein Lebensgefühl der Nachkriegszeit, der 50er und 60er Jahre. Die Nachwirkung des Sputnik wie der Beatniks ist bis heute irgendwie spürbar, mag die Strahlkraft der literarische Strömung gleichen Namens auch längst in den Annalen der Literaturgeschichte verglüht sein. Fragt sich nur, ob es sich beim Licht, das von den Beatniks noch immer ausgeht, um etwas Lebendiges handelt.
Der Großteil der fast 200 Briefe, die sich die beiden Ahnherren der Beatniks, Allen Ginsberg und Jack Kerouac, zwischen 1944 und 1963 schreiben, wirkt jedenfalls brennend: von dringlicher Bedeutung zwischen persönlichem Ausnahmezustand in Permanenz, Weltenbrand und Lösung aller Welträtsel. Ob sich die Korrespondenz "wie ein Roman von Dostojewskij" liest - was der Klappentext verheißt - sei einmal dahingestellt. Vermutlich stimmt eher, was der sarkastische Truman Capote einmal über Kerouacs Hauptwerk "On the Road" schrieb: "Geschreibsel - keine Literatur". Die Briefe bestehen aus überbordenden Wortanfällen, rasanter Graphomanie.
Vom Dichter-Dasein träumen
Als sich Kerouac und Ginsberg im Sommer 1944 im Umfeld der Columbia Universität kennen lernen, hat Ersterer die Uni schon beiseitegelassen, Ginsberg beabsichtigt noch, Arbeitsrechtler zu werden. Genauer gesagt hat Kerouac schon einen Roman über seine Erfahrungen bei der Marine verfasst, einen zweiten in Arbeit. Zur selben Zeit beginnt er gemeinsam mit William Borroughs, dem Dritten im Bunde, den Roman "Und die Nilpferde kochten in ihren Becken". Ginsberg, Sohn eines Lehrers und Dichters und einer Kommunistin mit deutlichen Zeichen psychischer Krankheit, träumt davon, Dichter zu werden.
Wie in den meisten Männerfreundschaften geht es von Anfang an maniriert und kindisch zu. Das beginnt bei den Anreden: "Jackiboo" - "Jackischatz", "Kind King Mind" - "Gütiger Königlicher Geist", "Cher singe". Kerouac antwortet mit "Liebes Äffchen" oder "Old bean" - "Altes Haus". Kerouac ist 22, Ginsberg 18.
Der Sommer 1944 wird von einem tragischen Mordfall im befreundeten Schwulenmilieu überschattet: Kerouac hilft dem Mörder, Beweismittel zur Seite zu räumen und wird deshalb kurzfristig verhaftet. Ginsberg schreibt, er habe keine Erlaubnis für einen Besuch im "Bronx County Jail von New York" erhalten und berichtet sogleich über ein Buch: Nikolaj Gogols "Tote Seelen":
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"Cher Jacques - Das Buch ist meine Familienbibel - es hat ganze melancholische Grandeur von Modder Rovshia, den ganzen Bortschtsch und Kaviar, der in den Adern der Slawen brodelt, die ganze flüchtige Leere jenes unbezahlbaren Gutes, der russischen Seele. Ich habe ein wissenschaftliches Buch darüber zu Haue - ich schicke es dir."
Weiter geht es er über seine Lektüre von Jane Austen und Emily Brontees "Sturmhöhen" sowie verschiedener Geschichtsbücher über europäische Revolutionen des 19. Jahrhunderts. Ginsbergs messianischer Abschluss: "Wenn ich damit durch bin, werde ich hier eine anzetteln."
Jack Kerouac schreibt über eine künftige Reise nach Paris, nichts über den Gefängnisalltag, und beschwört nicht weniger kulturbeflissen sogleich Nietzsche und den Psychoanalytiker Alfred Adler. Und weiter:
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"Ich glaube, ich klammere mich eitel an den Glauben, dass Kunst das potenziell Größte ist, die neue Vision entspringt diesem künstlerischen Rohstoff der Menschheit: Schau dir 'Finnegans Wake' und den 'Ulysses' und den 'Zauberberg' an. Der Herr allein kennt die Wahrheit. Der Herr allein weiß Bescheid."
Monolog zu zweit
Alle Themen sind sogleich da: Literatur und Leben und Schreiben und alles von ultimativer Größe und Bedeutsamkeit. "Ruhm tötet alles - die Briefe" ist kein konventioneller Briewechsel - lange Zeit sehen sich die beiden Autoren tagtäglich, ihr Schreiben stellt oftmals eine Art von Monolog mit Adressat dar.
Es bleibt auch ein "Monolog" zu zweit, als sie längst durch die USA irrlichtern, zwischen Ney York und Denver, zwischen San Francisco und Mexiko, nach Europa und Nordafrika. Die Rollen aber sind sehr bald klar verteilt: Kerouac ist der rotzig Freche, der sich irgendwann zum Buddhismus bekehrt, Ginsberg vom Anfang an der Mystiker voller Selbstzweifel.
Bis zum Erscheinen ihrer Hauptwerke - Ginsbergs Langgedicht "Howl" erscheint 1956, Kerouacs "On the Road" 1957 - ist es ein steiniger Weg zwischen Geldnot, Partys, Jazz, Sex - hetero, schwul und überhaupt. Das Studium haben beide gleich einmal aufgegeben, aber beide werden ewig weiterstudieren. Kerouac arbeitet erst einmal als Limonadenverkäufer in einem Drugstore, schreibt eine Reihe von Liebesgeschichten, in der Hoffnung, sie verkaufen zu können. Ginsberg hadert mit sich selbst:
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"Ich bin kein Naturkind, ich bin hässlich und in mir unvollkommen und vermag mich nicht selbst durch Poesie und romantische Visionen zu symbolischer Glorie zu erheben."
Kerouac gibt sich nicht nur selbstbewusst, er ist es auch - "göttergleich" sei er als jugendlicher Football-Spieler durch die Gegend gelaufen. Und: "Ich glaube, Frauen sind wunderbare Göttinnen, und ich will sie immer flachlegen."
Dazwischen blitzt etwas wie Einsicht - gepaart mit Zuversicht - auf: "Ich rede Scheiße, wir reden alle Scheiße - und deshalb können wir gerettet werden."
Essayistische Betrachtungen
Allen Ginsbergs ist meist der "sympathischere" Briefschreiber. Er zweifelt an seinem Verstand, hat zum Beispiel Angst, verrückt zu werden, ergeht sich in langen beichtartigen Geständnissen und fängt sich schließlich in essayartigen Betrachtungen - etwa über die Malerei von Paul Cezanne und dessen Darstellung von Licht. Eines seiner größten Probleme - seine "Jungfräulichkeit" noch mit vierundzwanzig - löst er schließlich auch: "Ich bin ein Mann, ich habe einen Schwanz." Kürzer wäre es nicht zu sagen.
Kerouac versucht sich dabei als Therapeut: "Du hast immer versucht, den Wahnsinn deiner Mutter als Gegenpol zur logischen, nüchternen, aber hassenswerten Normalität zu rechtfertigen." Für sich selbst hat er dabei eine eindeutige Vision: "Ein Thoreau der Berge zu werden. Wie Jesus und Thoreau zu leben, mal abgesehen von den Frauen. Wie Nature Boy mit einem Nature Girl."
Jugendlicher Tiefsinn klingt bei Kerouac so: "Leben ist etwas, was dir Sehsüchte gibt, aber ohne das Recht, sie zu stillen."
Die "verrückte" Generation
Im Juli 1949 erwähnt Kerouac erstmals den Romantitel "On the Road", jenes Buches, das ihn zum Star machen sollte. "Ich will über diese verrückte Generation schreiben und sie bekannt machen, damit sie Bedeutung bekommt und mal wieder alles ändert..." Die Selbstsicherheit seiner Mission ist trügerisch - als Ergebnis seiner manischen Schreib-Anstrengungen sieht er sogleich Depression:
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"Wenn ich sterbe, werde ich ein Gespenst sein, das beim Umzug auf dem Fluss mitschwimmt, mit mageren weißen Armen und Lotus-Augen, und das war's dann, des Nachts."
Die 1950er Jahre von Ginsberg und Kerouac wirken wie ein tobendes Schlachtfeld an Selbstzerstörung: Buddhismus wird exzessiv gelesen, gepredigt, praktiziert; die Liberalen sind "Tunten", geschickt werden wie nebenher Verlagsgeschäfte angebahnt, man diskutiert den "Prosakern" der Dichtung. Immer wieder gehen sie im Drogenrausch unter. Humor oder Ironie kommen in den Briefen selten vor - am lebendigsten ist - bei aller Dauerbeschwörung des Lebens - Ginsbergs Bericht von einer Reise nach Tanger/Marokko, zum Schriftsteller Paul Bowles. Ein Detail am Rande: Ginsberg trifft dort auf den späteren Superstarmaler Francis Bacon: "Er malt irre Gorillas in grauen Hotelzimmern in Abendgarderobe mit tödlichen schwarzen Regenschirmen."
"Woge an Schönheit"
Jack Kerouacs "On the Road", der im Prinzip dieselbe Geschichte wie der Briewechsel mit Ginsberg erzählt, wird 1957 zum Erfolg - und bald zum Welterfolg. Kerouac wird von der Presse gefeiert und durch das noch junge Fernsehen gereicht. Es ist die Rede von einer Verfilmung und von Hollywood.
Ginsberg akklamiert aus Amsterdam: "Habe die Woge an Schönheit vom 1. Oktober erhalten, die über dich in Amerika hereinbricht."
An seine wichtigste Botschaft: "Spar dein Geld!" wird sich Kerouac selbstredend nicht halten. Allen Ginsbergs Ruhm stellt sich mit dem ein Jahr früher erschienen Langgedicht "Howl" nicht sogleich ein, allzumal es am amerikanischen Markt vorerst wegen Obszönität verboten ist. Aber er wird nachhaltiger sein und bis zu dessen Tod 1997 nicht mehr abreißen.
Jack Kerouac stirbt im Oktober 1969 an den Folgen von Alkohol und Drogen. Briefe schreiben die beiden Päpste der Beat-Generation zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, oder nur noch selten. Man darf auch bezweifeln, ob Jack Kerouacs Vision aus seinem letzten Brief aus 1963 tatsächlich zutrifft, dem zufolge er selbst der "größte amerikanische Dichter" sei, Ginsberg aber der "größte israelische Dichter". Seine Charakteristik der heraufziehenden Zukunft hat aber bis heute ihr Schillern nicht verloren, wenn es heißt: "Du bist ein Magier, und gehörst zur sehnsüchtigen Kultur des 21. Jahrhunderts, die magisch sein wird, Orthodoxie. Höhlengefühl..." Ginsberg repliziert nur noch lakonisch: "Ich nehme überhaupt keine Drogen mehr, außer Bauchblümchen."
Service
Alan Ginsberg, Jack Kerouac, "Ruhm tötet alles. Die Briefe", (Hrsg.) Bill Morgan und David Standford, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Michael Kellner, Verlag Rogner und Bernhard
Rogner und Bernhard - Ruhm tötet alles