Buch über Sex ohne Sexszenen

"Normalo" Wolf Haas

"Über Kunst zu reden ist eine der schwierigsten Sachen. Ich habe den Eindruck, gerade Leute, die überhaupt keine Ahnung haben, wissen genau, was Kunst ist und was nicht. Aber wie die große Frage nach dem ewigen Leben ist auch diese Frage nur schwer beantwortbar."

Der Herr, der das sagt, hat sich soeben - nach längerem Schweigen - wortgewaltig zurückgemeldet: Wolf Haas, Bestsellerautor und Schöpfer der unvergleichlichen Brenner-Krimireihe. Am vergangenen Freitag hat Haas sein neues Buch "Verteidigung der Missionarsstellung" vorgestellt. Einmal mehr eröffnet er damit einen originellen Zugang zur Sprache, denn das neue Werk ist ein Liebes- und Sexroman - und enthält doch keine einzige Sexszene: Das Herzensanliegen des Autors ist es vielmehr, mit höchster Leidenschaft dem Eros der Sprache zu huldigen. Im Buch "Verteidigung der Missionarsstellung" geht es um die Liebe zwischen Mann und Frau, um kunstvolle Annäherungsversuche, und nicht zuletzt geht es - Zitat Wolf Haas: - um den verbalen Anbaggerungsversuch des Autor an seine Leserschaft:

"So wie Mann und Frau einander umgarnen, so umgarnt der Autor den Leser, dem immer Lust auf den nächsten Satz gemacht werden muss. Schon der Tiel 'Verteidigung der Missionarsstellung' ist der erste Anbaggersatz des Autors an den Leser: Lies mich!"

Wirklichkeit und Möglichkeit

Den Sätzen, die Haas' Hauptfigur Benjamin Baumgartner im Kopf hat, wird vom Autor fast ebenso viel Platz eingeräumt wie dessen tatsächlich geäußerten Gedanken, denn die Welt ist bei Wolf Haas eine Welt der permanenten Grenzüberschreitung zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit.

Wirft man einen Blick auf das "wirkliche Leben" des Autors, lassen sich deutliche Parallelen zu dieser Pendler-Existenz entdecken - wobei die Wirklichkeit Haas offenbar mehr Anstrengung abverlangt als die Welt der Fantasie: "Ich lebe ein sehr privilegiertes Leben und kann den ganzen Tag tun, was ich will. Das führt dazu, dass ich für die kleinsten Pflichten, wie die Reparatur meines Fahrrads oder einen Zahnarztbesuch, unendlich viel Zeit brauche."

Vom Abend- zum Morgenschreiber

"Ich merke, dass ich in der harten Welt der Wirklichkeit dem Typus des Träumers ähnle", meint Haas, "während ich mich in der Literatur als 'Normalo' betrachten darf. Wenn ich aber von zu vielen Normalos umgeben bin, wirke ich wiederum wie ein Schriftsteller."

Den Anforderungen der "Normalos" begegnet Wolf Haas seit einiger Zeit dennoch gelassen: wenngleich es einiger strenger Disziplinierungsübungen bedurfte, um beide Welten, die des Träumers und die des Normalos, aufeinander abzustimmen:

"Ich habe mich von einem Abend- zu einem Morgenschreiber entwickelt. Früher brauchte ich oft den ganzen Vormittag und den Nachmittag zum Kaffeetrinken, und wenn dann Freunde angerufen haben und sagten: 'Gehen wir ins Kino!', hab ich hysterisch gerufen: 'Ich muss arbeiten!' Inzwischen schreibe ich morgens ein, zwei Stunden - und zwar so intensiv, als ob ich sprinten würde -, danach fühle ich mich, als ob ich Muskelkater hätte und bin sehr müde. Aber ich kann dafür dann später ganz normale Dinge tun, die nicht Buch-schreiben sind."

Psychose Liebe

Was Wolf Haas nicht tut, ist in seinem "normalen" Alltag bewusst Material für seine Romane sammeln. Schreiben heißt für ihn, wie er sagt, erinnern: So erinnerte er sich etwa an einen Ausspruch im Radio, wonach Liebe, oder besser: Verliebtheit, einer Psychose gleiche. Eine Inspiration für den Autor, die Verliebtheit seines Protagonisten als eine Art Geisteskrankheit darzustellen:

"Verliebtheit bewirkt, dass Menschen zu völlig anderen Menschen werden, es besteht eine Kluft zwischen verliebten und normalen Wesen. Für die Freunde ist es zum Beispiel witzig, wenn jemand einer Frau nachrennt, die überhaupt nicht zu ihm passt. Für den Betroffenen ist das aber tragisch. Und das Interessante dabei ist: beides ist wahr!"

Beides ist wahr, so der Schriftsteller Wolf Haas. Die Einbildungskraft, die Welt des Träumers aber hat, so vermutet er, oft mehr Bestand als die Wirklichkeit. Jedenfalls wenn es um die ganz großen Fragen geht: "Es gibt ja diesen schönen Satz von Oscar Wilde: Die ewige Liebe und eine Laune sind dasselbe, nur die Laune dauert länger."