Erdogans Pläne für seine Politzukunft

Der türkische Regierungschef Tayyip Erdogan hat gestern vor 30.000 begeisterten Anhängern klargestellt, dass er auch in den nächsten
zehn Jahren an der Spitze der türkischen Politik bleiben wird. Und das, obwohl seine Zeit als Parteichef - zumindest nach den Statuten - in drei Jahren abläuft.

Morgenjournal, 1.10.2012

Kein Abschied

Wer mit Tayyip Erdogan ein Problem hat, auf den kommen schwere Zeiten zu. Denn der türkische Regierungschef hat gestern vor 30.000 begeisterten Anhängern klargestellt, dass er auch in den nächsten zehn Jahren an der Spitze der türkischen Politik bleiben wird. Auch wenn seine Zeit als Parteichef – laut Statuten – in drei Jahren abläuft. "Das ist kein Abschied, das ist nur eine Pause", kündigte er an: "Eine Pause zwischen den Noten eines endlosen Liedes…" Um dann in der Wir-Form fortzusetzen: "Wir werden der Nation in jeder Funktion dienen, die uns gegeben wird."

So kann nur einer reden, der weiß, dass er eigentlich keine Rivalen hat. Weder in der Partei, noch außerhalb kann niemand auch nur im Entferntesten so viel Popularität beanspruchen. Nichts liegt also näher, als dass Erdogan die nächste Stufe erklimmt und 2014, bei der ersten Direktwahl eines Staatspräsidenten, als einziger aussichtsreicher Kandidat antritt.

Gefahren für Erdogan

Und doch sind zwei Jahre eine lange Zeit in einem so wandlungsfähigen Land wie der Türkei. Ganz besonders wenn man die explosive Lage an der türkischen Südgrenze bedenkt. Der Bürgerkrieg in Syrien und die Facto-Auflösung des Irak haben der kurdischen PKK neuen Auftrieb gegeben.

Jeden Tag werden von dort aus türkische Militärkonvois und Polizeistationen angegriffen, aber auch Zivilisten werden immer wieder durch PKK-Bomben umgebracht. Diese ständige Bedrohung könnte auch die langfristigen Pläne Erdogans gefährden, noch dazu wenn die türkische Wirtschaft als Folge der europäischen Krise selbst zu stagnieren beginnt, meint der Journalist Ismail Kücükkaya.

Angebot an Kurden

An Terroranschläge hat unsere Bevölkerung gewöhnt, weil sie das seit 30 Jahren kennt. Aber wenn das so weiter geht bis zu den Präsidentenwahlen, dann könnte das für Erdogan doch ein Problem schaffen. Entsprechend breiten Raum nahm die Kurdenfrage in Erdogans Grundsatzrede ein. Der kurdischen Minderheit, immerhin ein Fünftel der Bevölkerung, machte er ein Angebot: "Wir wollen eine neue Seite aufschlagen, und zwar gemeinsam mit unseren kurdischen Brüdern. Aber wir erwarten von ihnen dass sie sich von jeder Gewalt klar lossagen."

Kurdische Politiker dürften dieses Angebot zumindest zweischneidig finden. Denn in der türkischen Justiz läuft zurzeit ein Verfahren, das gewählte kurdische Abgeordnete ins Gefängnis bringen könnte. Erdogan hat bereits angekündigt, dass er ihre Immunität aufheben lassen wolle. Und doch gibt es im Hintergrund auch wieder Kontakte mit der PKK. Immerhin wurde dem seit 13 Jahren inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan gestattet, im Gefängnis seinen Bruder zu empfangen. Manche in der Türkei sehen das bereits als Anfang einer neuen Verhandlungsrunde.