China: Glaubwürdigkeitskrise vor Parteitag

In drei Tagen beginnt in Peking der für China wichtigste Parteitag des Jahrzehnts. Die Kommunistische Partei leitet einen Generationswechsel ein und feiert ihre wirtschaftlichen Erfolge. Doch Korruption ist in China weit verbreitet, die sozialen Unterschiede wachsen ebenso wie der Unmut in der Bevölkerung. Die KP ist eine veritable Glaubwürdigkeitskrise geschlittert.

Morgenjournal, 5.11.2012

KP hat Angst vor ihrem Volk

Wie viele Polizisten vor dem Parteitag in Peking zusätzlich auf den Straßen unterwegs sind, weiß niemand. Doch es sind mit Sicherheit tausende, in Uniform, aber auch in Zivil. Bekannte Dissidenten hat man mit Polizeigewalt aus Peking für die Dauer des Parteitags bereits weggebracht. Taxifahrer wurden angehalten, die Fenster nicht zu öffnen, damit Fahrgäste keine subversiven Flugblätter auf die Straßen werfen können. Die KP hat Angst vor ihrem eigenen Volk, das mittlerweile auch tatsächlich tiefes Misstrauen gegenüber Parteifunktionären hegt.

"Vertrag" wackelt

Dabei hatte die KP bisher starke Argumente auf ihrer Seite, konnte sich das größte Armutsbekämpfungsprogramm der Geschichte und letztlich den Aufstieg Chinas zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt auf ihre Fahnen schreiben. "Wir machen Euch jedes Jahr reicher, dafür haltet ihr in politischen Dingen den Mund" - dieser Vertrag zwischen Chinas Führern und ihrem Volk hat lange Zeit funktioniert. Jüngst wird er immer öfters in Frage gestellt. Die Armen Chinas erleben Ungleichheit, Korruption und Landraub. Die Mittelklasse hat Angst vor verseuchten Lebensmitteln und Umweltdesastern. Und die rote Oberschicht kämpft um die Reichtümer, die Chinas Boom mittlerweile erwirtschaftet.

Von Ideologie zu "schlechtem Witz"

Auch wenn die staatlichen Medien weiterhin stark zensuriert werden - es sind die neuen Werkzeuge im Internet, die boomenden Mikroblogs etwa, die viele Informationen erfolgreich an den Zensoren vorbeischleusen und eine Reihe an Korruptionsfällen in höchsten Parteikreisen jüngst an die Öffentlichkeit getragen haben. Ein Netz an Intrigen, Machtmissbrauch und Mord hat etwa den roten Parteigranden Bo Xilai zu Fall gebracht. Es war der größte Politskandal in China seit vielen Jahren, der Risse innerhalb der höchsten Führungsriege der KP offenbart hat: Angehörige von Parteiführern, die sich massiv bereichern, ein Minister, der sich mehr als ein Dutzend Konkubinen hält - all das hat das Image der Partei beschädigt, sagt der australische Politologe David Kelly, der in Peking eine Denkfabrik betreibt: "Die Partei leidet an einer Identitätskrise. Die ursprüngliche Stärke lag in ihrer kommunistischen Identität. Ich bin Kommunist, ich führe die Gesellschaft zu Fairness und Gleichheit. Das war der Glaube. Mittlerweile ist das Ganze zu einem schlechten Witz verkommen."

Warten auf Reformen

Doch ist in China die Angst vor Chaos, das sich so oft in der nationalen Geschichte wiederholt hat, in vielen Köpfen fest verankert. Ebenso die Überzeugung, dass nur eine starke Führung wie die KP ein solches verhindern kann. Darauf können Chinas künftige Führer bauen. Allerdings werden von ihnen tiefgreifende Reformen erwartet, vor allem auch um die wachsenden sozialen Unterschiede im Land zu verringern. Dafür braucht es Mut zum Experiment. Doch glauben viele, dass nach dem Ende des kommenden Parteitags die neuen Führer zunächst vor allem mit einem beschäftigt sein werden – mit sich selbst und dem Absichern ihrer Macht.