Tim Wu zur Zukunft des Internets

Der Master Switch

Was ist die Zukunft des Internets? Kann man diese vorhersagen, indem man die Medienvergangenheit analysiert? Fragen wie diese veranlassten den Columbia-Professor Tim Wu das Buch "Der Master Switch" zu schreiben.

Das Thema hat den Medienexperten schon viele Jahre beschäftigt, erzählt er: "Ich habe früher im Silicon Valley gelebt. Dort verhielten sich alle, als gingen sie historische Prozesse nichts an, als lebten sie in einer ganz einzigartigen Periode, die sich grundlegend von allem, was zuvor war, unterschied. Und ich dachte mir: Da kann etwas nicht stimmen. Ich begann nachzulesen, was Leute sich in den 1920er Jahren übers Radio gedacht haben. Und da wurde mir klar: Sie dachten damals über das Radio auf die gleiche Art und Weise, wie man in den 1990er Jahren übers Internet gedacht hat."

Radio war damals, in den 1920er Jahren, eine Sache von begeisterten Amateuren und Hobbyisten. Die Erwartungen an das neue Medium waren enorm. "Das Radio ist und war ein Wunder. Dass man jemandes Stimme, der weit weg ist, hören kann, ist eigentlich erstaunlich", meint Wu. "Es gibt viele Wunder in unserem Leben, die wir für selbstverständlich halten. Dass man der Stimme eines Menschen im Radio, im eigenen Wohnzimmer zuhören konnte, war für die Menschen in den 1920er Jahren einfach unglaublich. Sie staunten damals über das Radio. Und es gab kühne Vorhersagen über seine Bedeutung: Es wird keine Schulen, keine Universitäten mehr geben, hieß es. Denn wozu sollte man das Haus verlassen? Man konnte ja alles daheim lernen."

Das Monopol von AT & T

Das war nicht die einzige Hoffnung. Viele meinten: Auch die Politik würde nun ganz anders und viel besser werden. Statt Beleidigungen und Schreiduellen würden Politiker einen sachlichen, reifen Diskurs, der dem neuen Medium würdig sei, pflegen. Eine ähnliche Begeisterung und Erwartungshaltung habe sich auch ans Internet geknüpft, meint Tim Wu. Und so entstand also seine Idee, die Medienentwicklung historisch zu betrachten.

Tim Wu analysiert die Entwicklung von Telefon, Radio, Fernsehen und Filmindustrie. Demzufolge zeigt die Geschichte einen typischen Verlauf: von kreativen Einzelunternehmen und einer unstrukturierten Industrie hin zur Monopolisierung. Dann greift der Staat korrigierend ein. Und der Zyklus beginnt von Neuem.

Ein Paradebeispiel dieser Entwicklung ist das Telefon. 1908 gab es in den USA viele kleine Telefongesellschaften. Nach der Konsolidierung 1921 ging AT & T als Monopol hervor.

"AT & T war das größte Kommunikationsimperium in der Geschichte der Menschheit", sagt Wu. "Es war ein gigantisches Unternehmen, das mehr als eine Million Menschen beschäftigte. AT & T hatte 70 Jahre lang absolute Kontrolle über den Telefonmarkt in den USA. Und zwar auf so vollkommene Weise, dass man es sich heute kaum vorstellen kann. Ihnen gehörte das lokale und regionale Telefonnetz, das Ferngesprächsnetz, jedes Kabel. Es ist fraglich, ob ein Unternehmen jemals wieder so mächtig werden kann und beispielsweise jeden Aspekt des Internets kontrollieren könnte. Das ist sicher nicht leicht zuwege zu bringen, aber man kann nie wissen."

AT & Ts Kontrolle über den Telekommunikationsmarkt war so perfekt, dass dies Innovationen blockierte. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte "Hush-a-phone", eine Art Schöpflöffel, der um die Sprachmuschel des Telefons angebracht wurde. Damit konnte niemand mithören, was man in den Telefonhörer sagte. AT & T ließ seine Kunden wissen: Ein Hush-a-phone zu verwenden, verstoße gegen den Vertrag, da es nicht von AT & T stamme. Die Rute im Fenster dabei: die Kündigung des Anschlusses.

Zerschlagung 1984

Das ist nur ein Beispiel aus AT & Ts Sündenkatalog. Im Laufe der Zeit, so Tim Wu, wurde AT & T immer unflexibler; wie besessen von Pünktlichkeit. Von Ordnung.

"Dieses Streben nach Perfektion führte zu extremer Rigidität", erzählt Wu. "Das Unternehmen blockierte 50 Jahre lang eine Innovation wie den Anrufbeantworter. Es sträubte sich dagegen, Ferngespräche zu verbilligen. AT & T versuchte sogar das Internet zu verhindern, weil es gegen die Unternehmensphilosophie verstieß. Zu guter Letzt musste der Staat das Internet finanzieren, denn AT & T wollte nicht nur nichts damit zu tun haben, sondern legte sich quer."

Der Antitrust-Prozess, United States gegen AT & T, endete 1984 mit der Zerschlagung des Monopols. Und das sei auch die korrekte Rolle des Staates, meint Tim Wu: Wenn eine Industrie Konkurrenz erst gar nicht mehr aufkommen lässt und Innovation blockiert, müsse der Staat korrigierend eingreifen.

Regeln vom Staat aufgestellt

Vor zehn Jahren prägte Tim Wu den Begriff "Netzneutralität". Gemeint ist damit ein freies Internet, in dem alle Datenpakete und Dienste gleich behandelt werden. In den USA gibt es seit 2010 staatliche Vorschriften dazu. Tim Wu meint: Die Rolle des Staates funktioniere dabei eigentlich nicht so schlecht:

"Man stellt eine Regel auf, nämlich dass Diskriminierung verboten ist, aber man überprüft das nicht tagtäglich oder schreibt die Preisgebarung vor. Man verbietet nur Diskriminierung. Man lässt es bei Grundregeln bewenden und mischt sich sonst nicht ein. Aber: Wenn sich jemand über Verstöße eines Anbieters beklagt, bestraft man ihn. So läuft es am besten. Ich meine, der Staat sollte nicht das Unternehmen führen, aber er sollte auch nicht mit offenen Augen schlafen. Es sollte so ablaufen, wie die Polizei die allgemeine Sicherheit überwacht: Sie schläft nicht, aber man hat auch nicht das Gefühl, dass sie einem jeden Tag ins Haus kommt."

Apples despotische Anwandlungen

Die englische Originalfassung des Buchs "Master Switch" erschien 2010. Das Manuskript wurde 2009 abgegeben. Vor drei Jahren also. Das ist in der schnelllebigen Medienwelt eine halbe Ewigkeit. Vieles habe sich inzwischen verändert, erklärt Tim Wu:

"Als ich das Buch schrieb, habe ich oft gesagt, dass ich Apple für eine im Aufstieg begriffene Macht halte. Und alle haben mich damals, 2008, ausgelacht. Ach, Apple macht ja nur iPods, hat es geheißen. und ich hab gesagt: Nein, nein. Apple verwendet die gleichen Praktiken wie die Hollywood Studios und auch die Telefongesellschaften vor 100 Jahren, um ihre Macht innerhalb der Industrie zu konsolidieren. Apple ist, seit ich das Buch geschrieben habe, enorm gewachsen. Das Unternehmen hat sich von einem Nebendarsteller zu einer sehr mächtigen, wenn auch nicht total dominierenden Firma entwickelt. Aber Apple ist sicher einer der Anwärter für Vorherrschaft in einigen Bereichen."

Und despotische Anwandlungen machen sich schon bemerkbar. Tim Wu nennt ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit: "Man hat solche Ansätze bei der jüngsten Kontroverse um den Kartendienst google maps gesehen. Apple hat gesagt: Wir machen jetzt unsere Apple maps. Aber der Apple-Kartendienst taugt nichts. Wenn der Apple-Kunde lieber google maps hat, so der Apple-Standpunkt, hat er eben Pech gehabt. Hier geht's vergleichsweise um eine Kleinigkeit. Wir reden nicht vom Ende der Welt. Doch wenn Firmen groß und mächtig werden und sich kontrollierend verhalten, werden sie meistens nicht besser."

Apple ist freilich nur einer von mehreren Kandidaten für Dominanz über das Internet. Denn da sind ja auch noch Google oder Facebook - letzteres ungeachtet seiner trudelnden Aktienpreise. Dass die Entwicklung auch im Internet in Richtung Konsolidierung läuft, zeigt der Zusammenschluss des Fernseh-Networks NBC mit dem Kabel- und Internetanbieter Comcast. Wo geht die Entwicklung hin? Schwer zu sagen, meint Tim Wu. Doch zumindest vorläufig ist er vorsichtig optimistisch, dass die Geschichte sich nicht wiederholt. Doch abhängen werde das wohl von uns allen.

Service

Tim Wu, "Der Master Switch", mitp Business Verlag

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